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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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schlechte Theaterkulisse, um so mehr kam ihr das Ganze wie ein reines Phantasieprodukt vor. Ein expressionistisches Gemälde vielleicht. Ein Cartoon. Ein Traum.
    Ja, so sieht es in Wahrheit aus, dachte sie. Und genauso hat der andere unfertige Ort auch ausgesehen. Nicht wie eine reale Landschaft, sondern wie eine der Szenerien, die das Gehirn als Hintergrund für einen Traum entwirft.
    Da kam ihr plötzlich ein Gedanke, unangenehm kribbelnd wie statische Elektrizität, und augenblicklich setzte sie sich kerzengerade hin. Andere Ideen hängten sich an die erste wie magnetisch angezogen, und nach wenigen Minuten mußte sie unbedingt reden. Sie rüttelte !Xabbu sanft. Er wachte sofort auf.
    »Renie? Bin ich schon dran? Ist etwas …?«
    »Alles okay, ich hatte … mir ist bloß was aufgegangen. Eine Sache, die du immer sagst. Daß ein Traum uns träumt, nicht wahr?«
    »Wie kommst du jetzt darauf?« Er richtete sich auf, bis er ihr Gesicht genau betrachten konnte.
    »Du sagst doch immer, daß ein Traum uns träumt, stimmt’s? Und ich hab das immer für, was weiß ich, philosophisch gehalten.«
    Er lachte leise. »Ist das ein unanständiges Wort, Renie?«
    »Mach dich bitte nicht über mich lustig. Ich geb meine Fehler ja zu. Ich bin Informatikerin, herrje, wenigstens hab ich das studiert. Philosophie und so Zeug kommt mir immer vor wie etwas, was man macht, wenn die wirkliche Arbeit getan ist.«
    Der amüsierte Blick, den er ihr zuwarf, ließ Lachfältchen um seine Augen entstehen. »Und?«
    »Ich hab grade über diese Umgebung nachgedacht, darüber, wie traumähnlich sie ist. Nichts hier ist normal, aber in einem Traum spielt das keine Rolle, weil man darauf gespannt ist, daß irgendwas Wichtiges passiert. Und plötzlich hab ich mir gedacht: Könnte es sein, daß dieses Environment tatsächlich ein Traum ist?«
    !Xabbu legte den Kopf schief. »Und das heißt?«
    »Kein richtiger Traum, aber aus dem gleichen Grund seltsam und unwirklich, aus dem ein Traum seltsam und unwirklich ist. Wieso sind Ereignisse im Traum oft so verquer, sehen Sachen so komisch aus? Wieso ist nie etwas richtig … vollständig? Weil dein Unterbewußtsein nicht besonders gut darin ist, den ganzen Kram nachzubilden, den dein Bewußtsein normalerweise wahrnimmt, oder weil er ihm einfach egal ist.«
    Sam wälzte sich im Schlaf herum, offenbar aufgestört von der Dringlichkeit in Renies Stimme, und so redete sie im Flüsterton weiter. »Ich denke, daß der Andere dieses Environment gebaut hat. Ich denke, er wollte, daß wir hierherkommen, und er hat diesen Ort aus sich selbst heraus geschaffen, wie einen Traum. Wie hat Jonas es genannt? Eine Metapher.« Laut ausgesprochen kam ihr der Gedanke nicht mehr so unmittelbar einleuchtend vor. Es war schwer vorstellbar, daß ihr bißchen Leben für dieses leidende Riesending eine Bedeutung haben sollte.
    »Er soll das hier aus sich selbst geschaffen haben? Aber wenn dieser Andere das System steuert, dann hat er Zugang zu allem, zu diesen ganzen perfekt gemachten Welten.« !Xabbu legte nachdenklich die Stirn in Falten. »Es wäre doch merkwürdig, wenn er so etwas Unwirkliches bauen würde.«
    »Aber das ist genau der Punkt«, entgegnete Renie aufgeregt. »Er hat diese andern Welten nicht gebaut. Sie wurden von realen Menschen gemacht, von Programmierern, Ingenieuren, Leuten, die wissen, wie eine reale Welt auszusehen hat und wie man selbst einer imaginären Welt ein reales Aussehen gibt. Aber was weiß der Andere schon? Er ist schließlich nur eine künstliche Intelligenz, nicht wahr? Er sieht Muster, Strukturen, aber er ist kein Mensch. Er weiß nicht, was uns real erscheint und was nicht, kennt die Dinge nur grob, nur von außen. Das wäre so, als würde man einem sehr intelligenten Kind, das nicht lesen kann, ein Buch geben und ihm sagen: ›Jetzt mach dir selbst ein solches Buch!‹ Das Kind hätte alle richtigen Buchstaben aus dem geschenkten Buch zur Verfügung, aber es könnte sie nicht zu einer Geschichte zusammensetzen. Es würde irgendein Kuriosum fabrizieren, das bloß wie ein Buch aussieht. Verstehst du?«
    !Xabbu dachte eine Weile darüber nach. »Aber warum? Warum sollte der Andere eine neue Welt erschaffen?«
    »Das weiß ich nicht. Vielleicht bloß unsertwegen. Martine hat gesagt, daß sie ihn von früher kennt, erinnerst du dich? Daß sie als kleines Mädchen an einem Experiment mit dem Ding beteiligt war. Nimm mal an, es hätte sie erkannt. Oder aus irgendeinem Grund wollte es einfach

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