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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sein Aussehen vortäuschte. Renie fragte sich, ob das kantige Gesicht wohl Jongleurs eigenes war, wie es vielleicht vor einem Jahrhundert oder mehr ausgesehen hatte. Wenn ja, dann fiel das unter eines der größten Rätsel von den vielen in Anderland: Warum waren sie hier mit Sims aufgewacht, die ihren realen Körpern weitgehend glichen?
    Es gibt keinen Sinn. Am Anfang, als wir in das Netzwerk kamen, hatte ich den Sim, den ich mir ausgesucht hatte, und T4b und Sweet William genauso, aber Martine hatte bloß einen unpersönlichen Blankokörper aus Atascos Simulation bekommen, und !Xabbu war ein Pavian. Wieso zum Donnerwetter? Und Orlando und Fredericks hatten die Sims ihrer Wahl, Avatare aus ihrem Abenteuerspiel – aber hat Fredericks mir nicht erzählt, daß Orlandos Sim nicht ganz der gleiche war wie sonst? Älter oder jünger oder so?
    Eins war so eigenartig wie das andere: daß sie ihre ursprünglichen Sims nicht nach einem ersichtlichen Plan bekommen hatten, wie daß sie jetzt Körper hatten, die ihren richtigen sehr ähnlich sahen. Kann es sein, daß wir tatsächlich in unsern realen Körpern stecken? dachte sie bestürzt. Aber sie konnte sich noch sehr gut daran erinnern, wie sie leibhaftig im Tank aufgewacht war, und auch wenn der Unterschied gering gewesen war, hatte er bestanden. Ihre momentane Gestalt sah vielleicht wie ihr realer Körper aus, bis hin zu kleinen Details, Narben und sogar der Verdickung eines Knöchels, den sie sich als Kind gebrochen hatte, aber er war durchaus nicht real.
    Also was geht hier vor? Wenn es ein Traum des Andern ist, warum sehen wir dann so aus? Es ist wie Zauberei. Renie schnaubte mißmutig. Auch wenn die Tatsachen noch so wirr und zusammenhanglos zu sein schienen, es mußte bestimmte Muster geben. Aber wie sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte kein einziges erkennen.
     
    Als die kleine Schar die äußersten Zinnen des Gipfels erreichte, bemerkte Renie, daß Ricardo Klement sich ihnen irgendwann angeschlossen hatte. Er folgte ihnen in einem Abstand von ungefähr hundert Metern wie ein ruheloses Gespenst.
    Der Weg führte nach wie vor in einer weiten Kurve an der schwarzen Wand bergab, anscheinend bis hinunter in die geheimnisvoll glitzernden Wolken, die den Berg umlagerten, aber Renie sah, daß !Xabbu nicht übertrieben hatte. Die Bodenrillen, die den Pfad trittsicher gemacht hatten, hatten viel von ihrer Feinauflösung verloren, und obwohl die Oberfläche selbst noch solide wirkte, war der harte Abschluß an der äußeren Kante fort, so als ob der Stein eine Art Lakritzeis wäre, das ein bißchen zu lange schon aus dem Gefrierschrank heraus war.
    »Mir ist immer noch nicht klar, was der Andere für ein Interesse haben sollte, uns an einen Ort wie diesen zu bringen«, bemerkte sie leise zu !Xabbu , als sie sich hinter Jongleur an den Abstieg machten. »Und vielleicht ja auch in die erste unfertige Welt neulich.« Sie mußte daran denken, wie sich in jenem anderen Environment plötzlich ein Teil des Bodens verflüchtigt hatte und wie dadurch Martine abgerutscht und T4b die Hand abgetrennt worden war. Wenn nun die gleiche Instabilität hier auch auftrat? Sie beschloß, keine Zeit mit Grübeleien über Dinge zu verschwenden, die sie ohnehin nicht verhindern konnte.
    T4bs Hand jedoch – das war eine interessante Anomalie. Sie war durch eine andere ersetzt worden, eine leuchtende Hand, die einem der Gralsleute, der ansonsten unbesiegbar gewesen wäre, den Garaus gemacht hatte. Konnte es sein, daß T4bs Hand irgendwie gegen ein Stück vom Andern selbst ausgetauscht worden war oder wenigstens gegen einen Teil von dessen Fähigkeit, das Netzwerk zu gestalten? So daß er jetzt eine Art Jokerzeichen des Betriebssystems am Ende seines virtuellen Arms hatte?
    Sie teilte die Überlegung !Xabbu mit. »Doch selbst wenn es stimmt, daß der Andere diese beiden Orte geschaffen hat, sie sozusagen aus dem Rohstoff des Netzwerks herausgearbeitet hat, macht uns das auch nicht klüger. Falls er von Dread kaltgestellt oder übernommen wurde oder etwas in der Art, könnte das der Grund dafür sein, daß dieses Machwerk hier immer unschärfer wird, aber es erklärt nicht, weshalb die andere unfertige Welt damals anfing, unter unsern Füßen auseinanderzufallen.«
    !Xabbu schnitt ihr das Wort ab. »Schau mal. Ich kann mich nicht erinnern, daß der Pfad vorher so war.« Der Weg vor ihnen war mit einemmal so schmal geworden, daß sie hintereinander gehen mußten. »Wir sollten später reden und

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