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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sehen, wer wir sind. Wir reden hier über eine außermenschliche Intelligenz, also wer weiß? Auch wenn sie ein Kunstprodukt ist, scheint sie doch sehr viel komplexer zu sein als ein gewöhnliches neuronales Netz.«
    Renie nahm etwas dicht neben ihrer Schulter wahr und drehte sich um. Felix Jongleur stand hinter ihnen, das Gesicht eine harte, finstere Maske. »Wir haben lange genug gewartet. Es ist Zeit, daß wir uns auf den Weg machen. Weckt das Mädchen!«
    »Wir waren gerade…«
    »Weckt sie! Wir brechen auf.«
    Normalerweise hätte Renie, konfrontiert mit einem nackten älteren Mann, sehr darauf geachtet, ihm ausschließlich ins Gesicht zu schauen, aber es war erstaunlich schwer, Jongleurs kaltem Blick standzuhalten. Nachdem sich ihr erster heißer Zorn auf den Mann inzwischen ein wenig abgekühlt hatte, mußte sie eine unangenehme Tatsache erkennen: Er machte ihr mächtig Angst. Er besaß eine tiefe, eiserne Stärke, einen unbeugsamen Willen, der nichts anderes gelten ließ als die eigenen Ziele. Seine dunklen Augen verrieten kein Fünkchen menschliches Mitgefühl, aber es war nichts Animalisches in ihnen – sie schienen einem Wesen zu gehören, das sich über das schlichte Menschsein erhoben hatte. Sie hatte von Politikern und Finanzmagnaten als gnadenlos sprechen hören, als Naturgewalten, und sie hatte das immer für einen schmeichlerischen Vergleich gehalten. Jetzt, wo sie dem Herrn und Meister des Grals in Person gegenüberstand, verstand sie langsam, daß ein schwarzes Charisma wie seines keiner literarischen Ausschmückung bedurfte.
    Sie warf !Xabbu einen raschen Blick zu, doch was ihr Freund dachte, war nicht auszumachen. Wenn er wollte, konnte er in seiner eigenen Haut genauso undurchschaubar sein, wie er es hinter der Maske des Paviansims gewesen war.
    Jongleur kehrte ihnen den Rücken zu und entfernte sich ein paar Schritte, die Verkörperung beherrschter Ungeduld. Renie beugte sich über Sam Fredericks und weckte sie sacht.
    »Wir müssen los, Sam.«
    Das Mädchen quälte sich langsam hoch. Einen Moment lang saß sie zusammengesunken da, dann richtete sie den Blick auf Orlandos Körper in seinem engen Sarg aus Steinen.
    » !Xabbu «, flüsterte Renie. »Lenk Jongleur ein Weilchen ab, damit Sam von ihrem Freund Abschied nehmen kann. Stell dem alten Sack ein paar Fragen. Er wird dir zwar keine Antworten geben, aber es wird ihn immerhin beschäftigen.«
    !Xabbu nickte. Er ging zu Jongleur, sagte etwas und deutete dann mit einer ausladenden Armbewegung auf den perlgrauen, horizontlosen Himmel wie jemand, der sich über das Wetter oder die Aussicht verbreitet. Renie wandte sich wieder Sam zu.
    »Wir müssen uns jetzt von ihm trennen.«
    Das Mädchen senkte den Kopf. »Ich weiß«, sagte sie leise, den Blick starr auf Orlando gerichtet. »Er war so gut. Nicht bloß nett – manchmal war er ein richtiger Kotzbrocken, megasarkastisch. Aber im Grunde wollte er … er w-wollte immer g-g-gut sein …«
    Renie legte einen Arm um sie. Mehr konnte sie nicht tun.
    »Leb wohl, Orlando«, sagte Renie schließlich. »Wo du auch sein magst.« Sie führte Sam von dem Steingrab weg und strich ihr dabei die Haare und die Kleidungsfetzen ein wenig zurecht, um sie abzulenken. »Du solltest mal nach deinem gestörten Freund sehen«, bemerkte sie zu Jongleur. »Der rennt hier irgendwo in der Gegend rum. Wir gehen jetzt.«
    Ein noch dunklerer und kälterer Schatten als gewöhnlich zog über das Gesicht des Mannes. »Du meinst, ich soll Klement holen gehen, als ob er ein alter Schulkamerad von mir wäre? Du bist mehr als naiv. Euch drei brauche ich, deshalb gehen wir alle zusammen, aber für ihn habe ich keinerlei Verwendung. Wenn er mitkommen will, werde ich ihn nicht daran hindern, solange er nichts tut, was meine Sicherheit gefährdet, aber wenn er lieber hierbleibt, während dieser Ort hier zu nacktem Code degeneriert, schert mich das herzlich wenig.«
    Er drehte sich um und schritt auf den bergab führenden Pfad zu, als wäre es selbstverständlich, daß er das Kommando hatte.
    »Reizende Gesellschaft«, murmelte Renie. »Okay, es ist Zeit. Gehen wir.«
     
    Der große Talkessel, in dem die Riesengestalt des Andern gelegen hatte, war jetzt leer und eine Seite weggebrochen, so daß die verbliebene lange, schartige Kante aussah, als hätte ein Ungeheuer einen Happen abgebissen. Jongleur ging voraus. Mit seiner kerzengeraden Haltung und seinem energischen Schritt wirkte er sogar jünger als das fortgeschrittene Alter, das

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