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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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nochmal vorsingen?«
    Das Steinmädchen schüttelte den Kopf.
    Langsam bewegten sie sich weiter ins Innere der Stadt vor. Jedesmal, wenn einer der Tecks in ihre Nähe kam, gingen sie soweit wie möglich in Deckung und blieben stocksteif stehen. Renie war jetzt richtig dankbar für die fortschreitende Abenddämmerung: Wenn die Kreaturen sich hauptsächlich nach dem Gesichtssinn richteten, dann war die Dunkelheit ein Geschenk. Dennoch wollte sie, wenn es sich irgend machen ließ, vor diesen scheußlichen Schleichern in Sicherheit sein, bevor es finstere Nacht war.
    Sie erreichten das erste Haus, eine einfache Kate aus grünen Blättern und Ranken. Nachdem Renie einen raschen Blick hineingeworfen hatte – selbst die Möbel waren aus Pflanzen –, konnte sie sich eine Frage nicht verkneifen. »Wer hat vorher in dieser Stadt gelebt?«
    »Frauen mit Kindern hauptsächlich«, antwortete das Steinmädchen mit gepreßter Stimme. »Sie haben gern Rotwein getrunken und Fisch gegessen. Außerdem ein paar Kaninchen. Und eine große Familie von Igeln, die Tickel oder Blickel oder so ähnlich hießen, g-g-glaub ich …« Tränen quollen aus den Augenlöchern.
    »Sch-sch. Schon gut. Wir werden …«
    Drei Tecks glitten um die Ecke des nächsten Hauses und krochen über die zugewucherte Gasse direkt auf sie zu. Das Steinmädchen stieß einen leisen Schreckenslaut aus und sackte zusammen. Renie packte es und hielt es möglichst aufrecht und still, obwohl sie selber am ganzen Leib zitterte.
    Die Tecks hielten an und blieben etwa fünf Meter von der Stelle entfernt, wo Renie und das Steinmädchen standen, sacht pulsierend auf dem Pflanzenteppich liegen. Nur ihre längliche Gestalt deutete darauf hin, daß es bei ihnen vorn und hinten gab; beide Enden sahen genau gleich aus, doch nach der Haltung der Tecks hatte Renie keinen Zweifel, daß sie ihnen die Vorderseite zukehrten. Sie hatten etwas gewittert und lauerten jetzt.
    Einer der Tecks trippelte ein kleines Stück auf das Haus zu. Ein anderer kam nach und glitt über den ersten, dann trennten sie sich und lagen wieder parallel. Helle und dunkle Farbwellen liefen im Wechsel ihre Leiber hinauf und hinunter. Die Augenflecken traten an den Vorderseiten vor, drei oder vier dunkle Kugeln bei jedem, die gegen die elastische Haut drückten.
    Ein kaum hörbarer Wimmerton entfuhr dem Steinmädchen, und Renie spürte, wie die Arme des Kindes sich strafften. Jeden Moment konnte es die Nerven verlieren und panisch davonlaufen. Renie versuchte, es unbeirrt festzuhalten, aber auch sie konnte ihr Grauen kaum mehr bezähmen.
    Mit einem lauten Rascheln, bei dem Renie fast das Herz stehenblieb, sprang plötzlich etwas direkt vor den Tecks aus dem Bodengestrüpp und raste so schnell am Haus vorbei auf die offene Straße zu, daß man nur einen grauhaarigen Streifen mit großen, glänzenden Augen sah. Die augenblicklich hinterherschießenden Tecks schienen kaum die Bodendecke zu berühren. Das kindgroße Kaninchen mit der knappen blauen Jacke erreichte die Straße, aber mußte dort einem anderen Teck ausweichen, der sich vor ihm aufbäumte, so daß man an der Kopfunterseite die schartige Öffnung des Mauls sah. Durch den jähen Richtungswechsel konnte das kopflos fliehende Tier nicht anders, als direkt auf seine Verfolger zuzurennen. Es stieß noch einen nur allzu menschlich klingenden Schreckensschrei aus, dann stürzten sich die Tecks in einer sich windenden, fleischigen Masse darauf.
    Renie zerrte das Steinmädchen um das Haus herum, weg vom Anblick der Straße und den schmatzenden Freßgeräuschen. Sie hatten Glück, daß dort keine weiteren Tecks warteten. Sie schob das stolpernde kleine Mädchen vor sich her durch die kniehohe Vegetation der Gasse und ins schützende Nachbarhaus hinein.
    Dort drinnen drang gerade soviel Licht durch ein kleines Fenster, daß sie einen Teil der aus lebenden Pflanzen bestehenden Einrichtung erkennen konnten, Stühle, einen Tisch, Schüsseln und sogar einen Kerzenleuchter; ansonsten war die kleine Hütte leer. In ihrer ohnmächtigen Furcht ballte Renie die Fäuste. Durch das Fenster hatte sie jetzt einen Blick auf den Kirchturm, der von Kletterpflanzen umwunden war wie ein Maibaum, doch obwohl er nur etwa fünfzig Meter entfernt war, hätten es genausogut tausend sein können. Das Gelände zwischen ihrem notdürftigen Asyl und dem Turm wimmelte von den bleichen Bestien.
    »Ich laß mir was einfallen«, beteuerte Renie. »Verlier nicht den Mut. Ich bring uns hier wieder

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