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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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stellte sich mit einem Rums auf die Unterseite.
    Heftig keuchend beugte sich Joseph vornüber, und sein Schweiß triefte auf den Boden. In dem engen Raum war es heiß, das Licht trübe. Das Bedürfnis nach Heimlichkeit kämpfte gegen das körperliche Unbehagen. Das Heimlichkeitsbedürfnis verlor. Er stieß die Tür in den Hauptbereich auf und ließ die kühlere Luft hereinströmen, ehe er die oberste Schublade probierte.
    Sie war nicht abgeschlossen. Doch damit war sein Glück schon zu Ende.
    Wer vergeudet so einen Schrank und stopft ihn mit lauter Aktenscheiß voll? Eine dumpfe, ohnmächtige Wut breitete sich in ihm aus wie ein Bluterguß. Der Schrank war so schwer, weil er nichts als Papiere enthielt, sinnlose Papiere, Personalakten oder ähnlichen Quatsch, Schublade für Schublade bis zum Rand vollgepackt mit altmodischen Ordnern.
    Joseph konnte sein tiefes Unglück nur einen Moment lang auskosten, da stürzte plötzlich etwas von oben auf ihn herab.
    Im ersten Schreck dachte er, ein Teil der Decke wäre heruntergekommen, wie es Del Ray passiert war, das Burenschwein und seine Kumpane wären direkt über ihm durchgebrochen. Als dann das merkwürdig hängige Gewicht ihn zu Boden zog und Finger nach seinem Gesicht krallten, dachte er statt dessen, Jeremiah wäre gekommen und griffe ihn an, wollte ihm aus irgendeinem Grund ans Leder.
    Ich hab doch bloß was zu trinken gesucht! wollte er rufen, doch die Finger legten sich um seine Kehle, drückten ihm die Luft ab. In seiner Panik rollte sich Joseph ruckartig auf die Seite und knallte schmerzhaft gegen den stehenden Schrank, doch es gelang ihm, die würgenden Hände zu lösen. Hustend kroch er vor dem unerklärlichen Angriff zurück und konnte gerade noch »Was …?« flüstern, bevor sein Gegner sich wieder auf ihn warf.
    Wer es auch war, er wirkte mehr wie ein Krake als ein Mensch, schien nur aus Armen und Beinen zu bestehen, die ihn packten, ihn niederzuhalten und zu erdrosseln versuchten. Joseph wehrte sich und wollte schreien, doch jetzt hatte er einen Arm quer über der Kehle, der unbarmherzig zudrückte, bis er meinte, sein Hals müsse gleich abbrechen und der Kopf sich vom Rumpf trennen. Er trat wie wild um sich. Seine Füße stießen mit Wucht gegen den Schrank, und er fühlte ihn kippen und hörte ihn gegen die Wand knallen, dann daran entlangschrammen und zu Boden donnern. Er bekam eine Hand unter den quetschenden Arm und drückte mit letzter Kraft dagegen, so daß er ein bißchen Luft in die Lungen saugen konnte, aber immer noch tanzten ihm Funken vor den Augen. Etwas schob sich über ihn, direkt vor sein Gesicht, eine schwarzrote Dämonenmaske mit gefletschten weißen Zähnen. Joseph trat wieder aus, doch traf auf nichts, und der Druck auf seinen Hals war jetzt zu stark für jede weitere Gegenwehr. Die Teufelsfratze entschwand durch einen schwarzen Tunnel in immer weitere Fernen, doch der Griff wurde fester. Er wußte immer noch nicht, was los war, wer ihn da eigentlich umbrachte.
    Als die von Blitzen durchzuckte Nacht beinahe total war, ließ der Druck auf einmal nach und hörte dann ganz auf – oder fast ganz, denn er hatte immer noch eine Sperre im Hals. Er wälzte sich auf den Bauch, keuchte und würgte durch eine Luftröhre, die sich anfühlte, als ob sie nie wieder aufgehen würde.
    Jemand schrie, und etwas rumste, als ob ein schweres Gewicht eine Treppe hinuntergeschleift würde. Joseph fühlte kühlen Beton an der Backe, fühlte die noch kühlere Luft durch seine kratzende Kehle strömen wie den erlesensten aller Weine. Er robbte zur Wand der Abstellkammer, drehte sich um und hob abwehrend die zitternden Hände.
    Es war wirklich Jeremiah, und er hatte einen Blick, den Joseph nie für möglich gehalten hätte, einen Blick entsetzter Raserei. Aber was machte er da? Warum hörte er nicht auf, mit seinem Prügel zu schlagen, diesem stählernen Stuhlbein, das er seit Josephs Rückkehr mit sich herumtrug? Und warum weinte er?
    Jeremiah schien Josephs verwirrten Blick zu spüren. Mit tränennassen Augen sah er ihn an, dann ein dunkles Bündel am Fußboden. Die Form, die dort lag, war ein Mann, ein weißer Mann, obwohl man das in seinem ganzen rauchgeschwärzten, blutigen Gesicht nur an einem rosigen Stück Ohr erkennen konnte. Sein Hinterkopf war zertrümmert, und Knochensplitter stachen aus der blutroten Masse heraus. Das Ende von Jeremiahs Stuhlbein tropfte. Jeremiahs Blick ging von Joseph nach oben zur Wand und dem dunklen Loch, vor dem zuvor das

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