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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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der Gebäude waren von Laubwerk verstruppt. Kletterpflanzen hatten sich von einer hohen Stelle zur anderen gerankt und hingen jetzt zwischen Türmen und Giebeln wie große, schlaffe Spinnweben.
    »Es wird dunkel«, sagte Renie leise. »Wir müssen los.«
    Das Steinmädchen gab keine Antwort, aber wich nicht von ihrer Seite, als sie sich vorsichtig in Bewegung setzten. Sie schlichen die Uferböschung hinauf zu einer niedrigen Mauer am Rande der Stadt, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, und duckten sich dahinter. Renie wünschte inbrünstig, sie hätte irgendeine Waffe. Das einzige, was sie hatte, war das Feuerzeug, und die Vorstellung, eine lappige Gestalt, die wie ein zwei Meter langer Tintenfisch aussah, mit einem Minisolar anzuzünden, war ein Witz, über den sie im Augenblick nicht sehr lachen konnte. Eine Fackel wäre eine Möglichkeit gewesen, aber die nächsten Bäume waren ein ziemliches Stück entfernt.
    »Haben Tecks vor irgendwas Angst?« fragte sie. Der ungläubige Blick des Steinmädchens war eigentlich Antwort genug, aber Renie griff in das Gestrüpp, das die Mauer bedeckte, weil ihr der Gedanke kam, daß sie sich mit einem großen Stein in der Hand wenigstens ein bißchen besser fühlen würde. Sie langte viel tiefer in das Dornengesträuch hinein, als sie für nötig gehalten hätte, um einen losen Stein zu finden, und staunte dann noch mehr, als die Hand auf der anderen Seite durchkam. Die Mauer bestand nur aus Strauchwerk.
    »Wo ist die Mauer? Ist denn gar keine Mauer drunter?«
    Das Steinmädchen war noch eine Idee aschgrauer geworden, als es mit seiner Lehmfarbe ohnehin schon war. Es sah Renie nervös an. »Das ist die Mauer.«
    »Aber … ist da nicht… nichts Hartes unter diesen ganzen Blättern?« Plötzlich kam ihr ein verstörender Gedanke. »Bestehen etwa alle diese Häuser und so weiter bloß aus Pflanzen?«
    »Das hier ist Holla Buschuschusch«, erwiderte das kleine Mädchen zur Erklärung.
    »Scheiße.« Also nichts war mit Steinen als behelfsmäßigen Waffen. Außerdem bedeutete das, daß ihre Freunde, wenn sie wirklich in diesem Turm nahe des Stadtkerns steckten, nicht durch richtige Mauern vor diesen Kreaturen geschützt waren.
    Aber wodurch waren sie dann geschützt?
    Renie holte ein weiteres Mal tief Luft und konnte sich noch schwerer als vorher dazu bringen, weiterzugehen. Eine Wolke der Angst hing über der ganzen Stadt, und das war nicht allein ihre naheliegende und nur zu berechtigte Furcht vor den unheimlichen Tecks, sondern etwas Tieferes, schwerer Erklärliches. Sie erinnerte sich an die Woge der Panik, die sie erfaßt hatte, als sie von den Schnören gejagt worden war.
    Wir sind im Innern des Betriebssystems. Empfinden wir seine Furcht? Aber wovor würde sich eine künstliche Intelligenz fürchten?
    Sie führte das Steinmädchen zu einer Stelle, wo die Wand besonders niedrig war und sie leicht darüber hinwegklettern konnten, auch wenn es für Renie nicht ohne ein paar zusätzliche Schrammen abging. Auf der anderen Seite blieben sie stehen. Über die Pflanzendecke am Boden kam ein Teck mit einer wellenartigen Bewegung auf sie zu, die aussah, als schwämme er über den Meeresgrund. Obwohl das Steinmädchen erklärt hatte, daß es ungefährlich war, Geräusche zu machen, schnürte es Renie die Kehle zu.
    Der Teck hielt zehn, fünfzehn Meter vor ihnen an. Er hatte keine Beine, doch jede Spitze seiner gezackten Seiten endete in etwas wie einem Pseudopodium; eine sanfte Wellenbewegung lief durch alle Zacken, obwohl das Ding stillstand. Dunkle Punkte schwammen unter der durchscheinenden Haut, als ob es mit Billardkugeln und Gallert gefüllt wäre. Erst als die dunklen Punkte einer nach dem anderen gegen die Haut preßten und dann wieder zurücktraten, erinnerte sich Renie an die Worte des Steinmädchens: Tecks hatten zu viele Augen.
    »Lieber Gott!« würgte sie hervor.
    Ob er sie nun tatsächlich nicht sehen konnte, solange sie sich nicht bewegten, oder ob sie zu weit weg waren, um von Interesse zu sein, jedenfalls drehte der Teck sich um und schlängelte sich wieder die Hauptstraße hinauf. Mehrere seiner Artgenossen stießen ihn im Vorbeigehen an, einige krochen sogar über ihn hinweg. Renie konnte nicht ausmachen, ob sie sich durch Körperkontakt verständigten, oder ob sie einfach hochgradig dumm waren.
    »Ich will hier nicht sein«, sagte die Kleine.
    »Ich auch nicht, aber wir sind nun mal hier. Nimm meine Hand, und laß uns weitergehen. Soll ich dir das Sprootie-Smart-Lied

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