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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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den Fingern. In so einer Riesenanlage mußte es doch wenigstens einen gegeben haben, der auch im Dienst gern einen trank und irgendwo eine Flasche versteckt hatte, bloß eine Flasche, die bei der allgemeinen Räumung vergessen worden war. Er blickte zu der Kammer hinüber, wo Jeremiah in der offenen Tür stand und im Schein der Lampe mit Del Ray über die Versorgungslage diskutierte. Sie brauchten ihn nicht. Sie konnten ihn nicht einmal leiden, einen einfachen Handarbeiter, der nicht den Affen machte, damit er für reiche Burentussen arbeiten konnte. Wenn seine Tochter nicht gewesen wäre, hätte er sich einen Luftschacht nach draußen gesucht, und die beiden hätten von ihm aus zum Teufel gehen können.
    Er wischte sich abermals mit dem Handrücken über den Mund, und ohne wirklich darüber nachzudenken – denn dann wäre ihm klar gewesen, daß es dumm und aussichtslos war, daß er die ganze Basis schon ein halbdutzendmal von oben bis unten durchstöbert hatte – trollte er sich davon, um nach dieser imaginären Flasche Bier zu fahnden, die ein gesichtsloser Soldat oder Techniker irgendwo verstaut hatte, um sich die langen Wachstunden zu versüßen.
    Nein – Wein, dachte er. Wenn er schon einem hoffnungslosen Traum nachhing, warum sollte der dann nicht perfekt sein? ’ne ganze Flasche von ’nem guten Tropfen, richtig was Süffiges. Noch nich mal angebrochen. Er hat sie versteckt gehabt, und auf einmal is der Befehl gekommen, und alle ham losgemußt. Er zog im Geiste den Hut vor seinem anonymen Wohltäter. Du hast es nicht gewußt, aber du hast sie für Joseph Sulaweyo liegengelassen. In seiner Stunde der Not, wie man sagt.
     
    Seine Haut kribbelte. Der Aktenschrank lag an der Wand der Abstellkammer auf der Seite, wunderbar wie eine Schatztruhe aus einer Piratengeschichte.
    In einem Anfall von nervöser Energie, ausgelöst von Angst und Bitterkeit, hatte er einen Haufen Klappstühle weggeräumt, an dem er schon viele Male vorbeigegangen war. Er hatte dabei nicht mehr Hoffnung gehabt als sonst beim wiederholten Öffnen der Schränke und Schubladen, die er im letzten Monat bestimmt dutzendmal durchwühlt hatte, doch zu seinem Erstaunen hatte er unter den Stühlen den umgekippten Büroschrank entdeckt. Jetzt wagte er kaum zu atmen vor Angst, das Wunder könnte sich in Luft auflösen.
    Wahrscheinlich nix drin als Papiere, meldete sich die leise Stimme der Vernunft in seinem Innern. Oder Spinnen. Falls überhaupt was drin is.
    Dennoch waren seine Handflächen verschwitzt, so daß es eine Weile dauerte, bis er begriff, daß die Schubladen nicht allein deswegen nicht aufgingen, weil er an den Griffen abrutschte. Klappt nich, solange er liegt, erkannte er. Muß das Ding hinstellen.
    Es war ein großes, klotziges Stück, dafür gebaut, Brände und andere Katastrophen zu überstehen. Josephs Muskeln protestierten gegen die Anstrengung, die er ihnen zumutete, so daß er einen Moment lang sogar daran dachte, Jeremiah zu Hilfe zu rufen, aber es wollte ihm keine glaubhafte Ausrede dafür einfallen, daß er den Schrank gern aufgerichtet hätte. Mit viel Grunzen und Fluchen wuchtete er schließlich das Kopfende vom Boden hoch, doch als er es hüfthoch hatte, machte sein Rücken nicht mehr mit. Er mußte erst einmal in die Knie gehen und sich das volle Gewicht auf die Schenkel packen, bevor er das restliche Stück in Angriff nehmen konnte. Der Schrank fühlte sich an, als ob er voll mit Steinen wäre. Joseph meinte zu spüren, wie seine Knöchel unter dem Druck zerkrümelten, doch zugleich schöpfte er Hoffnung – da mußte auf jeden Fall irgendwas drin sein.
    Er holte tief Luft und stemmte erneut mit schmerzverzerrtem Gesicht, während die Ecken sich in seine Unterarme bohrten, und endlich konnte er den ganzen Körper darunter schieben und richtig Rücken und Schultern zum Einsatz bringen. Der Schrank wackelte kurz – vor seinem inneren Auge sah er sich schon mit gebrochenem Rückgrat darunter liegen, während Jeremiah und Del Ray hundert Meter entfernt ahnungslos weiterplauderten –, doch dann gelang es ihm, sich aus der Hocke hochzudrücken und ihn beinahe aufrecht hinzustellen. Leider blieb die Kante am Gitter eines Lüftungsschlitzes in der Betonwand hängen und ging nicht mehr weiter. Mit bebendem Rücken, flatternden Armen und von Schweiß brennenden Augen schob Joseph dagegen an, bis die Befestigungsschrauben heraussprangen und das Gitter laut scheppernd zu Boden fiel. Der Aktenschrank rutschte daran vorbei und

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