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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Mond war am Himmel aufgegangen und hing jetzt eingerahmt zwischen den schwarzen Silhouetten der Bäume, dahinter klein, aber hell die Sterne.
    Sam nickte immer wieder vor Müdigkeit ein und überlegte gerade, ob es zu horrormäßig wäre, in einem der leeren Wagen zu schlafen, als Azador plötzlich zu reden anfing.
    »Ich … ich erinnere mich nicht an alles«, sagte er langsam. »Aber als ich die Brücke fand, stieg vieles wieder in mir hoch, so als hätte ich den Umschlag eines Buches gesehen, das ich als Kind gelesen, aber längst vergessen hatte.
    Ich erinnere mich, daß ich hier in diesen Wäldern aufgewachsen bin. Aber ich zog auch mit meiner Familie durch alle Länder. Auf der Suche nach Arbeit überquerten wir die Flüsse, stellten unsere Wagen am Rande von Dörfern und Städten auf. Wir machten alles, was gerade anfiel. Wir hatten genug zum Leben. Und wenn wir uns hier versammelten, auf dem Romamarkt, dann wurde getanzt und gelacht und gefeiert, daß alle Roma wieder beisammen waren.« In der Erinnerung an bessere Zeiten leuchtete sein Gesicht auf, verdunkelte sich aber gleich wieder. »Doch ich fühlte mich niemals voll zugehörig, konnte mich nie damit abfinden, daß dies mein ganzes Leben sein sollte. Ich war selbst dann unglücklich, wenn ich glücklich war. ›Azador‹ nannten mich alle Roma. Das ist ein altes spanisches Zigeunerwort. Es bedeutet einen, der Unglück bringt. Dennoch waren sie freundlich zu mir, meine Angehörigen, meine Leute. Sie wußten, es war Schicksal, das ich so geworden war, nicht meine Schuld.«
    »Wie heißt du richtig?« fragte !Xabbu sanft.
    »Ich … ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht erinnern.«
    Selbst Jongleur lauschte konzentriert, seine raubvogelartigen Züge wirkten gespannt.
    Abrupt setzte Azador sich gerade hin, und Zorn umwölkte sein Gesicht. »Das ist alles, was ich euch sagen kann. Warum quält ihr mich so? Ich wollte nicht hierher zurückkommen. Jetzt habe ich wieder alles verloren, was ich schon einmal verloren hatte.«
    »Sie sagte, du könntest ihnen folgen«, bemerkte Sam. »Deine Stiefmutter. Sie sagte, sie wären unterwegs zu … was war es noch? Ein Brunnen?«
    »Sie machen eine Pilgerfahrt zur Schwarzen Kali«, erwiderte Azador mit einem verächtlichen Lachen. »Aber genausogut könnten sie zu den Sternen geflogen sein. Ich weiß keinen andern Weg dorthin als zu Fuß. Wir sind weit vom Zentrum entfernt, wo sich der Brunnen befindet – wir müßten Fluß um Fluß überqueren. Bevor wir die Hälfte der Strecke zurückgelegt hätten, wäre die Welt verschwunden.«
    »Und sonst erinnerst du dich an nichts mehr?« !Xabbu beugte sich vor. »Ich lernte dich sehr fern von hier kennen, in einem ganz anderen Teil des Netzwerks. Du mußt weite Strecken zurückgelegt haben, um dorthin zu gelangen. Wie hast du das gemacht?«
    Azador schüttelte den Kopf. »Ich kann mich an nichts erinnern. Ich habe hier gelebt. Dann bin ich in andere Länder gezogen. Jetzt bin ich wieder da … und meine Leute sind fort.« Er sprang so ungestüm auf, daß Blätter und Reisig in das Feuer flogen und es aufflackerte. »Ich gehe schlafen. Wenn der Eine Mitleid hat, wache ich nicht wieder auf.«
    Er schritt davon. Sie hörten die lederne Aufhängung des Wagens knarren, den er bestieg.
    »Hat … hat seine Stiefmutter nicht was davon gesagt, er könnte sich umbringen?« fragte Sam besorgt. »Ich meine, sollten wir ihn allein lassen?«
    »Azador wird nicht Selbstmord begehen«, meinte Jongleur lakonisch. »Ich kenne die Sorte.« Auch er erhob sich und verschwand zwischen den Wagen.
    Sam und !Xabbu sahen sich über das Lagerfeuer hinweg an. »Ist das bloß meine Einbildung«, fragte Sam, »oder schnellt der Scänfaktor grade wirklich total in die Höhe, irgendwie?«
    »Ich verstehe dich nicht, Sam.«
    »Ich meine, wird alles immer verrückter?«
    »Nein, ich glaube nicht, daß du dir das einbildest.« !Xabbu schüttelte den Kopf. »Ich bin selbst durcheinander und besorgt, aber ich habe auch Hoffnung. Wenn alle zu einem Ort hingezogen werden, den man den Brunnen nennt, dann wird sich vielleicht auch Renie dorthin aufmachen.«
    »Aber wir wissen nicht, wie man dort hinkommt. Azador meinte, bis wir zu Fuß dort angelangt wären, hätte sich die Welt längst verflüchtigt.«
    !Xabbu nickte traurig, aber rang sich dann ein Lächeln ab, auch wenn es ihn sichtlich Anstrengung kostete. »Aber noch ist es nicht soweit, Sam Fredericks. Und so lange können wir noch hoffen.« Er klopfte ihr

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