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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sah. Er war völlig in einem Wachtraum versunken. Selbst Jongleur, der die Nachhut ihres kleinen Zuges bildete, schien von der Seltsamkeit ihres Waldgangs berührt zu sein und war gänzlich verstummt.
    »Wo sind wir?« flüsterte Sam, doch !Xabbu war gerade mit großen Augen stehengeblieben. Ein helles Stück Stoff hing am Weg und bewegte sich in der schwachen Brise. »Chizz! Ist es von Renie?«
    !Xabbus Gesicht wurde lang. »Das kann nicht sein. Die Farbe ist falsch, gelber als das, was du und sie anhaben, und das Stück ist zu groß.«
    Azador hingegen schien der Stoffstreifen etwas zu sagen, denn er strich behutsam darüber und bog dann von der breiten Piste in den wegelosen Wald ab. Er schlug jetzt ein flottes Tempo an, so daß Sam und !Xabbu tüchtig ausschreiten mußten, um mitzuhalten.
    An einem Strauch baumelte ein blutrotes Tuch: Azador ging nach links. Hundert Schritte weiter markierten zwei weiße Streifen den Rand einer Lichtung. Azador marschierte schnurstracks über die freie Fläche und tauchte gegenüber wieder in den Wald ein. An einem Hang kamen sie ins Freie und trafen erneut auf die Waldstraße oder eine andere, die genauso aussah, von vielen Radspuren aufgerissen.
    Sie folgten dieser Piste bergab in einen Hain hochgewachsener Bäume mit knorrigen grauen Stämmen. Jetzt konnte Sam Rauch riechen. Im dichten Ring der Bäume, vor Blicken von außen verborgen, standen die Wagen.
    Zuerst meinte Sam, sie wären auf einen etwas ungewöhnlichen Wanderzirkus gestoßen. Selbst in dem schwindenden Licht sahen die Wagen, zwanzig oder dreißig, phantastisch aus mit ihren vielen Farben in geradezu unglaublichen Kombinationen, mit Streifen und Wirbeln und Karos, behängt mit Federn und Troddeln und mit Messingbeschlägen an Rädern und Türen. So großartig war der Anblick, daß es eine Weile dauerte, bis sie merkte, daß etwas nicht stimmte.
    »Aber … wo sind die Leute?«
    Aufstöhnend eilte Azador auf die Lichtung und blickte wild in die Runde, als ob sich die Masse der Menschen und Pferde, die die Wagen an diesen Ort gebracht hatten, hinter einem Baum verstecken könnte. Sam und !Xabbu folgten ihm. Azador blieb stocksteif stehen, dann stürmte er los. Ein dünnes Rauchfähnchen stieg hinter einem der letzten Wagen auf, tief mitternachtsblau und mit weißen Sternen besprengt, so daß er im Vergleich zu den übrigen einen eher düsteren Eindruck machte.
    Ein kleines Feuer brannte neben dem Wagen in einem Steinkreis. Eine kurze Treppe war zwischen den hohen Holzrädern heruntergeklappt worden. Auf der untersten Stufe saß eine Pfeife rauchende Gestalt mit einer Haube auf dem Kopf, die Sam zunächst für eine alte Frau hielt. Erst beim Näherkommen fiel ihr auf, daß die fremde Erscheinung außen an den Rändern schwach durchsichtig war.
    Azador blieb vor der Gestalt stehen und ging vor ihr in die Hocke. »Wo sind sie hin?«
    Die Frau blickte auf. Ein kalter Schauder überlief Sam. Was sie vom Gesicht der Frau erkennen konnte, war rauchig wie die grauen Schwaden, die sich über dem Feuer kräuselten, die Augen nur Lichtpunkte, klein, aber hell wie die Glut am Rande.
    »Du bist zu uns zurückgekehrt, Azador.« Ihre Stimme war eigenartig volltönend, gar nicht so unkörperlich wie der Rest von ihr. »Zur Unzeit, mein Tschawo, mein Unglücksjunge. Dein Name erweist sich als wahr. Sie sind alle fort.«
    »Fort?« Der Schmerz in seiner Stimme war förmlich mit Händen zu fassen. »Alle?«
    »Alle. Die Mursche und ihre Majen, alle Kinder. Sie sind vor dem Auslöschen geflohen. Wie du siehst, waren einige so voller Furcht, daß sie sogar ihre Wordins hiergelassen haben.« Sie blickte auf die Wagen und schüttelte mißbilligend den Kopf. Azador war wie vom Donner gerührt. Ohne diese bunten, liebevoll hergerichteten Gefährte aufzubrechen, war sichtlich ein sehr unheilvolles Zeichen. »Und du kommst zu guter Letzt doch noch. Es war ein schwarzer Tag, als du fortgingst. Und jetzt ist der Tag deiner Rückkehr genauso schwarz.«
    »Wo … wo sind sie hin, Stiefmutter?«
    »Das Auslöschen kommt. Alle Roma sind zum Brunnen gezogen. Der Eine hat es befohlen. Sie hoffen, wenn sie dort hingelangen, wird die Schwarze Madonna zu ihnen sprechen, ihnen sagen, wie sie sich retten können.«
    »Aber warum bist du noch da, Stiefmutter?«
    »Ich konnte keine Ruhe finden, bis ich allen meinen Tschawos Bescheid gesagt hatte. Das war meine Aufgabe. Jetzt, wo du nach all diesen Jahren wieder da bist, ist meine Aufgabe erfüllt.« Sie

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