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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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VNS-Patienten beim Warten auf die Moduleinstellung)
    Off-Stimme: Die Vagusnervstimulation, kurz VNS genannt, eine künstliche Stimmungsveränderung, die von einigen Ärzten zur Behandlung von Chargesüchtigen eingesetzt wird, steht neuerdings im Verdacht, ihrerseits süchtig zu machen.
    (Bild: Doktor Karina Kawande, Bildfenster)
    Kawande: »Es war im Grunde abzusehen. Den Vagusnerv als Mittel gegen Zwangsverhalten zu reizen ist nur dann ein vertretbarer Ersatz für gefährliches Straßengear, wenn die Pulsdosis kontrolliert werden kann. Aber jedes mit Code arbeitende Gerät läßt sich häcken, und so gibt es heute Patienten, die ihre VNS 24 Stunden am Tag pulsen lassen …«
     
     
    > Beim Gang durch die Menge glitt ein fremdes Gesicht nach dem anderen an Sam Fredericks vorbei wie in einem endlosen Albtraum -Hunde, Bären, Schlangen mit Opalaugen, Kinder mit Flügeln und Vogelköpfen, Jungen und Mädchen aus Holz oder Pfefferkuchen oder sogar aus Glas. Doch von den Tausenden, die den Brunnen und seine flirrenden Lichter umlagerten, ein ganzes Flüchtlingscamp unter dem weiten, dämmerigen Himmel, war kein einziger bekannt.
    Renie Sulaweyo war nicht darunter.
    Sam konnte es kaum ertragen, !Xabbu anzuschauen, der bestimmt noch viel enttäuschter war als sie. Nachdem sie Azador bei seiner wiedergefundenen Zigeunerfamilie zurückgelassen hatten, war !Xabbu fast im Laufschritt auf die Suche nach Renie gegangen, doch je weiter der Tag sich dem Ende zuneigte, ohne daß er eine Spur von ihr fand, um so langsamer wurden die Schritte des kleinen Mannes. Auf ihrer ganzen Irrfahrt, selbst in den schlimmsten Zeiten, hatte sie ihn nur selten müde gesehen. Jetzt bewegte er sich, als brächte er kaum noch die Kraft zum Atmen auf.
    »Wir sollten zurückgehen.« Sam faßte ihn am Arm. Sie fühlte sein Widerstreben, doch nahm ihre Hand nicht fort. »Wir können später weiterschauen.«
    Als er sich zu ihr umdrehte, war sein Gesicht hohläugig und niedergeschmettert. »Sie ist nicht hier, Sam. Nirgends. Und wenn dies die letzte Zuflucht in dieser Welt ist …«
    Sie wollte nicht darüber nachdenken, und sie wollte auch nicht, daß !Xabbu darüber nachdachte. »Nein, wir wissen überhaupt nicht, wie dieser scännige Laden hier läuft. Und es kann auch sein, daß wir sie übersehen haben. Mir tränen vor Müdigkeit schon die Augen.«
    Er seufzte. »Es ist schrecklich von mir, dich so mitzuschleifen, Sam. Wir gehen jetzt zurück und ruhen uns eine Weile bei Azadors Leuten aus.«
    »Chizz. Weißt du noch, wo sie sind?« Sie sah sich im Rund der schroffen Hügel um. »Ich hab keine Orientierung mehr.« Sam hatte leichte Schuldgefühle – sie hatte ganz bewußt an seinen Beschützerinstinkt appelliert –, wußte aber, daß es zu seinem eigenen Wohl war. Es war komisch, wie sehr !Xabbu Orlando glich, dachte sie. Beide waren kaum dazu zu bringen, etwas für sich selbst zu tun, aber für Freunde hätten sie sich von einem Hochhaus geworfen.
    Orlando ist meinetwegen sogar ums Leben gekommen … Es war kein guter Gedanke, und sie drängte ihn weg.
    Der Rückweg durch die ziellose, verunsicherte Masse schien Stunden zu dauern. Einige der anderen Flüchtlinge hielten ebenfalls eifrig Ausschau nach ihren verlorenen Genossen, und hilfreiche Leute hatten Sam und !Xabbu auf winzige Exilgemeinden von Orten mit Namen wie Hansischer Bohnengarten oder Wichtelhausen aufmerksam gemacht, aber sehr viel mehr waren offenbar einfach so nahe wie möglich an den Brunnen herangegangen und hatten sich dann dort niedergelassen.
    Azadors Zigeunersippe war entweder frühzeitig eingetroffen oder hatte ihre Platzansprüche aggressiver durchgesetzt als die meisten. Ihr Lager mit den bunten Wagen befand sich hart am Rand des Brunnens am Fuß eines Steilfelsens und machte ein wenig den Eindruck, als ob eine Gruppe von Ausflüglern beschlossen hätte, direkt neben einem gewaltigen Bombenkrater zu picknicken – doch kein Bombenkrater hatte jemals so ausgesehen. Auf den ersten Blick hatte Sam gedacht, in dem schwarzen Wasser spiegelte sich der unveränderliche Abendhimmel mit seinen schwach leuchtenden Sternen. Als sie und die anderen näher gekommen waren, alle still und in sich gekehrt außer Azador, noch mitgenommen von ihren Erfahrungen bei der Überquerung der geschlossenen Brücke, hatte sie festgestellt, daß der Brunnen ein Spiegel ganz anderer Art war. Die Sterne beziehungsweise die unsteten Lichtpunkte in seinen dunklen Tiefen leuchteten nicht gleichbleibend wie

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