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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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habe die Ruhe viel nötiger als sie, aber schon wurde sie von einer zungenschnalzenden Zigeuneroma zu einem der Wagen geleitet. Das Bett, das sie dort zugewiesen bekam, war zwar kaum breiter als ein Bücherregal, aber dennoch war sie nach wenigen Sekunden tief und fest eingeschlafen.
     
    Falls sie geträumt hatte, erinnerte sie sich beim Aufwachen nicht mehr daran. Sam stolperte nach draußen und wäre beinahe das steile Wagentreppchen hinuntergefallen. Die Alte war fort. Überall ringsherum schliefen Zigeuner auf dem Boden, als ob das Fest so lange getobt hätte, daß sie einfach an Ort und Stelle umgekippt waren, doch der Himmel war unverändert, immer noch das gleiche stumpfe Grau.
    Ich vermisse die Zeit, dachte sie traurig. Ich vermisse die Morgen und die Sonne und … und alles.
    Jemand sang leise ein Lied, eine zarte, vagierende Weise in Moll. Sie ging um den Wagen herum und sah !Xabbu neben einem ausgehenden Feuer hocken und mit einem verkohlten Astende beim Singen etwas in den grauen Staub zeichnen. Er blickte auf und begrüßte sie mit einem schwachen Lächeln.
    »Guten Morgen, Sam. Oder guten Abend.«
    »Du kannst es auch nicht auseinanderhalten, was? Manchmal kommt’s mir so vor, als wär das von diesem ganzen Fen das pannigste überhaupt.« Sie hockte sich neben ihn. »Was zeichnest du da?«
    »Zeichnen?« Er sah auf den Boden. »Nichts. Ich ließ nur meinen Arm beim Nachdenken wandern. Wie Tanzen vielleicht, nur nicht so anstrengend.« Obwohl die Bemerkung witzig gemeint war, brachte er kein zweites Lächeln zustande.
    »Worüber denkst du nach?« Sie war ziemlich sicher, das schon zu wissen, doch er überraschte sie.
    »Über Jongleur.« Er sah sich um. »Aber ehe wir reden, laß uns irgendwo hingehen, wo wir …« Er suchte nach dem richtigen Wort.
    »Ungestörter sind?«
    »Genau. Wo wir rundherum freie Sicht haben.« Er ging ihr voraus zwischen den Wagen hindurch, an weiteren verglimmenden Feuern und schlafenden Zigeunern vorbei auf die Steilwand zu, die sich über dem Lagerplatz erhob. Sie stiegen hinauf, bis sie ein kleines Plateau am Ende eines langen Hanges erreichten, gut hundert Meter über den Wagen. Es waren noch andere Leute in der Nähe, manche lagerten sogar an dem Hang – keine Zigeuner, sondern Märchenwesen, wie Sam sie im stillen getauft hatte, sprechende Katzen und Pfefferkuchenkinder –, aber sie wirkten apathisch und zeigten kein Interesse an den neu Hinzukommenden.
    »Was denkst du über Jongleur?« fragte Sam, als sie sich gesetzt hatten.
    »Daß es zwischen ihm und Azador ein Geheimnis gibt, das ich nicht verstehe.« !Xabbu legte die Stirn in Falten. »Zunächst einmal ist da die Art, wie er Azador dazu brachte, uns hierherzuführen. Dann ist da sein Interesse an dem Zigeunerlager – dieser Mann, der sonst nur Verachtung für alle anderen Menschen und Tierwesen hat, denen er hier begegnet!«
    »Ich weiß.« Sam zuckte mit den Achseln. »Aber vielleicht gibt es dafür eine einfache Erklärung. Er hat dieses Netzwerk gebaut. Wir können davon ausgehen, daß er Sachen darüber weiß, die wir nicht wissen und die er uns nicht sagen will. Er ist nicht gerade die Mitteilsamkeit in Person, irgendwie.«
    »Das stimmt. Aber dennoch befremdet mich etwas daran.«
    Sie beobachteten das nach und nach erwachende Zigeunerlager wie auch die sonst noch um den Brunnen versammelten Scharen, die teils mehr, teils weniger menschenähnlich aussahen. Die unheimliche Mondlandschaft löste in Sam wieder eine heftige Sehnsucht nach zuhause aus.
    »Und wir warten hier wirklich auf das Ende der Welt?« fragte sie.
    »Ich weiß es nicht, Sam. Doch es gibt immer Hoffnung. Habe ich dir die Geschichte davon erzählt, wie der Allverschlinger zum Kraal von Großvater Mantis kam? Das ist eine Geschichte, die von der Hoffnung handelt. Ich habe sie Renie erzählt, weil sie das geliebte Stachelschwein ist.«
    »Was?« Trotz ihrer Niedergeschlagenheit mußte Sam lachen.
    !Xabbu nickte ernst. »Ja, genauso hat Renie auch reagiert, als ich ihr das sagte. Die Stachelschweinfrau ist die Schwiegertochter von Großvater Mantis, diejenige, die er von allen ersten Menschen am meisten liebt. Und sie ist auch die tapferste von allen – als selbst Großvater Mantis von Furcht übermannt wurde, behielt sie einen klaren Kopf und tat, was nötig war. Das klingt wie Renie, findest du nicht?«
    Sam sah ihn fast zärtlich an. »Du liebst sie wirklich, was?«
    Er antwortete nicht gleich, doch über sein Gesicht zogen mehrere

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