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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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die Leute ständig, aber sie konnte sich nicht mehr so recht erinnern, wie.
    Cho-Cho sah sehr klein aus. Auch seine Augen waren zu, aber sein Mund stand auf, und auf das Kissen war etwas Spucke gelaufen. Christabel fand das ziemlich eklig, aber kam dann zu dem Schluß, daß er nichts dafür konnte.
    Sie beugte sich nahe heran. »Wach auf, Herr Sellars«, flüsterte sie laut genug, daß er sie hören konnte, aber ihr Papi im Zimmer nebenan nicht. »Du kannst jetzt aufwachen.«
    Aber er wachte nicht auf. Er sah schlecht aus, wie jemand, der überfahren worden war und jetzt am Straßenrand lag. Ihr war schon wieder nach Weinen zumute.
     
    Onkel Jingle wurde nicht besser. Sie probierte verschiedene andere Sendungen, sogar Teen Mob, das ihre Eltern ihr verboten hatten, weil sie meinten, es wäre »vulgär«, was schlecht oder gruselig bedeutete, eins von beiden. Vielleicht auch beides. Da kam ihr Papi herein, und sie mußte schnell umschalten.
    »Wieso in aller Welt guckst du dir Lacrosse an, Christabel?« fragte er sie.
    Das war vermutlich der Name von dem Spiel. Die Leute hauten mit Stöcken in der Gegend herum. »Weiß nicht. Es ist interessant.«
    »Na schön. Ich leg mich ein paar Minuten hin. Deine Mami müßte in einer Viertelstunde anrufen. Wenn sie nicht anruft, kommst du und weckst mich, ja?« Er deutete auf die Uhr in der Ecke des Wandbildschirms. »Wenn da 17:50 steht, okay?«
    »Okay, Papi.« Sie sah ihn ins Schlafzimmer gehen und schaltete dann auf Teen Mob zurück. Die Leute in der Sendung schienen ständig darüber zu reden, wer mit wem tanzte. Von den Tänzen hatte sie noch nie gehört, Sachen wie »Hack mich« und »Pop in die Box«. Jemand sagte: »Klorine spielt Knallbonbon mit allem, was Sprays anhat«, und Christabel war sich nicht sicher, ob von einem anderen Tanz oder richtigen Knallbonbons die Rede war. Es waren zwar in der Sendung bisher noch keine vorgekommen, aber jemand anders sagte: »Yeah, und deswegen verbrennt sie sich ständig die Finger«, was sich mehr nach Knallen als nach Tanzen anhörte. Sie stellte den Wandbildschirm aus.
    Es war ungerecht. Herr Sellars war krank, vielleicht sterbenskrank, und sie riefen nicht einmal einen Arzt. Und wenn er jetzt eine Medizin brauchte, um wieder gesund zu werden? Mami war zwar einkaufen gegangen, aber Christabel wußte, daß man im Lebensmittelgeschäft keine richtige Medizin bekam, bloß Hustensaft mit Fruchtgeschmack und solche Sachen. Wenn man wirklich krank war, so wie Oma Sorensen, brauchte man Medizin aus der Apotheke oder mußte sogar ins Krankenhaus.
    Sie schlenderte durch das Zimmer und fragte sich, ob sie zu Herrn Ramsey hinübergehen und mit ihm reden konnte. Mamis Anruf war erst in zehn Minuten fällig, und Christabel war, als würden das die längsten zehn Minuten der Welt werden. Außerdem hatte sie Hunger. Und die Langeweile war noch schlimmer als die gedrückte Stimmung. Sie hätte doch mit ihrer Mutter einkaufen fahren sollen.
    Sie durchstöberte gerade die Jackentasche ihres Papis nach den kleinen Salzbrezeln, die er ihr am Morgen weggenommen hatte, weil sie etwas anderes frühstücken sollte als Brezeln, als sie die MärchenBrille fand.
    Sie wunderte sich ein wenig, weil sie der Meinung gewesen war, Papi hätte sie zuhause liegengelassen. Bei dem Gedanken an den Tag, an dem sie abgefahren waren, bekam sie ganz starkes Heimweh. Sie wollte die anderen Kinder wiedersehen, sogar Ophelia Weiner, die gar nicht immer eingebildet war. Und wieder in ihrem eigenen Zimmer schlafen, mit ihrem Zoomer-Zizz-Poster und ihren Puppen und Tieren.
    Sie nahm die MärchenBrille mit zur Couch und setzte sie auf. Eine Zeitlang blickte sie einfach in das Schwarz, weil das noch interessanter war als alles andere in diesem doofen, langweiligen Hotel. Dann stellte sie sie mit einem Fingertippen an, und obwohl die Brille schwarz blieb, hatte sie auf einmal Herrn Sellars’ Stimme im Ohr.
    Zuerst dachte sie, es wäre eine von seinen alten Mitteilungen. Aber von denen war es keine.
    »Wenn du das bist, kleine Christabel, sag mir dein Codewort. Weißt du es noch?«
    Sie mußte einen Moment nachdenken. »Rumpelstilzchen«, flüsterte sie.
    »Gut. Ich möchte dir etwas erzählen …«
    »Wo bist du? Geht’s dir gut? Bist du aufgewacht?« Sie war schon halb durchs Zimmer auf die Verbindungstür zugeeilt, um ihn zu begrüßen, doch als sie jetzt nach den Fragen, die ihr aus dem Mund gesprudelt waren, still war, redete er immer noch. Er hatte sie gar nicht

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