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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Felsbrocken von der Größe eines Kleinwagens rollte schlingernd an Paul vorbei und donnerte gegen die hintere Wand, doch er konnte sich nicht einmal bewegen. Sonnenlicht stach herein, und der grenzenlose Wüstenhimmel erstreckte sich wieder über ihnen.
    Das schakalköpfige Ungeheuer schwenkte das Tempeldach zur Seite und ließ es fallen. Steinstaub wallte auf wie ein Atompilz, und gleichzeitig beugte sich der Riese zu dem klaffenden Loch der aufgedeckten Grabkammer herunter. Die Zunge hing ihm weit aus dem grinsenden Rachen heraus, in dem ein Tyrannosaurus wie ein Brathähnchen hätte verschwinden können.
    »ICH BIN ZIEMLICH VERSTIMMT ÜBER EUCH«, dröhnte Anubis. Wieder ging ein Stein- und Staubregen von den bröckelnden Wänden nieder. »IHR HABT EUCH VOR BEGINN DER PARTY DÜNNEGEMACHT. DAS FINDE ICH GANZ SCHÖN UNHÖFLICH.«
    Nur Martine stand noch neben dem Sarkophag schwankend auf den Beinen. Paul krabbelte zu ihr hinüber, um sie zu Boden zu zerren, bevor das Monster zulangte und sie köpfte wie eine Pusteblume.
    »Hilf uns!« hörte er sie abermals flehen. Es war kaum mehr als ein Flüstern.
    »SO, SO, UND WAS SIND DAS FÜR WÜRMCHEN, DIE SICH DA AM BODEN WINDEN?« sagte die Bestie hämisch.
    Der Sarkophag begann zu bersten. Risse zuckten über die Seiten und Kanten, rotes Licht quoll hervor wie Blut. Mit einemmal verkehrte sich das ganze Ding, als ob es nicht den Leichnam eines Gottes enthielte, sondern eine neue raumzeitliche Dimension, und stob wie eine Zeitlupenexplosion in alle Richtungen nach außen, bis Paul nichts anderes mehr sah als die totale Schwärze und das grell strahlende Rot.
    »Er schreit …!« hörte er Martine klagen. Ihre Stimme war selber schmerzgepeinigt, doch sie erstarb wie ein verklingendes Signal. »Die Kinder sind …« In Pauls Kopf breitete sich Nebel aus, kalt, leer, tot.
    »VERDAMMTE SCHEISSE, WAS …?« war das letzte, was er hörte, ein donnerndes Brüllen von oben, doch schon eigentümlich gedämpft. Dann verging selbst dieser Steine sprengende Lärm, und Paul versank im lautlosen Nichts.
     
     
    > Wortlos knurrend und Speichel triefend, der wie Regen auf den verschütteten Boden fiel, durchwühlte Dread die Trümmer wie ein Kind, das in seinem Geburtstagskarton nichts anderes findet als Seidenpapier. Sie waren fort.
    Das Knurren schwoll zu einem wütenden Bellen an. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen wie negative Sterne. Er trat eine Tempelmauer um, brachte eine andere mit einem Schlag zum Einsturz, dann bückte er sich in den wirbelnden Staub hinunter und griff sich einen steinernen Obelisken. Er riß ihn von seinem Sockel ab und schleuderte ihn, so weit er konnte. Ein Fähnchen Wüstensand zeigte seine ferne Aufschlagstelle an.
    Als er den ganzen Tempelkomplex zu Sandsteinbrocken zerschmettert hatte, richtete er sich inmitten seines Vernichtungswerkes auf. Der Zorn brannte immer noch so stark hinter seiner Stirn, daß er meinte, gleich in Flammen auszubrechen. Er warf den Kopf zurück und heulte, doch das brachte keine Erleichterung. Als das Echo in den Bergen verhallt war, war die Wüste wieder still. Niemand außer ihm war mehr da.
    Er schloß die Augen und brüllte: »Anwin!«
    Es dauerte mehrere Sekunden, bis sie reagierte, und jede dieser Sekunden schlug der Puls in seinem Schädel wie ein Dampfhammer. Als das Fenster am Wüstenhimmel aufging, waren ihre Augen vor Schreck geweitet. Er wußte nicht, ob sie seine wirkliche Erscheinung oder die berghohe Gestalt des Totengottes Anubis sah. Im Augenblick war es ihm egal.
    »Was? Was ist?« Sie saß in einem Sessel – der Winkel deutete darauf hin, daß sie ihn auf ihrem Pad hatte statt auf dem Wandbildschirm. Sie blickte nicht bloß überrascht, sondern schuldbewußt, und einen flüchtigen Moment lang kühlte sein Zorn so weit ab, daß dieser Umstand ihn ein wenig verwunderte. Dann erinnerte er sich wieder, wie ihm Martine und ihre kleinen Freunde direkt vor das Nase entwischt waren, und die würgende Wut flammte neu in ihm auf.
    »Ich bin im Netzwerk«, stieß er hervor, bemüht, sich so weit zu zügeln, daß er klare Sätze artikulieren konnte, obwohl er am liebsten das ganze Universum zertrümmert und zertrampelt hätte. »Eine Verbindung ist grade … zustande gekommen. Ich muß sie haben, mit hindurchgehen. Die Sache hängt mit dem Betriebssystem zusammen.« Das Betriebssystem selbst hatte ihn ausgetrickst, das war das ärgerlichste daran. Als er begriffen hatte, was ablief, hatte er ihm eine Schmerzdosis

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