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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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stieß. Er konnte nichts mehr dagegen machen.
    Sellars schrie auf, als es ihn berührte, doch an diesem leeren Ort endlos strömender Daten war keinerlei Geräusch zu hören, keinerlei Hilfe zu erwarten. Es gab nur das seelenlose Pulsen eines Universums vor dem Urknall der Entstehung.
    Oder dem Endknall des Untergangs.
     
     
    > Sie wußte nicht, wie sie in den Sessel zurückgekommen war oder warum, doch sie starrte abermals auf ihr Pad. Es waren nur Minuten vergangen, seit sie den gesperrten Speicher ihres Auftraggebers geknackt hatte, aber diese Minuten waren für sie mit der Langsamkeit von Erdzeitaltern dahingekrochen. Ein Tunnel der Finsternis umschloß sie und verengte ihren Blick, bis sie nichts anderes mehr sehen konnte als den Bildschirm, den furchtbaren Bildschirm. Auf ihm lief derzeit eine Datei, die »Nuba 27« hieß. In einem Zimmer – einem Hotelzimmer, wie es schien –, durch dessen Fenster helles Sonnenlicht fiel und allem eine grelle, unheimliche Klarheit verlieh, tat Dread einer Frau unsägliche Dinge an.
    Steh auf, sagte sich Dulcy. Steh auf. Doch der sie umgebende Tunnel schloß alles außer dem Bildschirm aus. Sie sah nur noch das gräßliche, sonnenhelle Hotelzimmer. Steh auf. Sie wußte nicht einmal mehr, ob sie zu der Frau redete, die auf das mit einer Plastikplane abgedeckte Bett geschnallt war, oder zu sich selbst.
    Ein dumpfes Gongen unterbrach ihre noch dumpferen Gedanken. Sie bemerkte, daß sie den Ton der Datei abgestellt hatte, eine winzige Wohltat in einem unendlichen Grauen, weil sie einfach nicht länger hatte zuhören können. Die musikalische Untermalung war noch schlimmer gewesen als das Schreien. Aber wenn der Ton abgestellt war, woher kam dann das Geräusch?
    In der Ecke des Padbildschirms ging ein Fenster auf. Darin sah man eine manteltragende Gestalt vor einer Haustür stehen. Im ersten Moment meinte sie, das gehöre mit zu der Horrorinszenierung auf der Datei, vielleicht ein zweites Opfer, mit dem ihr Auftraggeber gleich ein schauderhaftes Wimmer- und Kreischduett aufführen wollte. Dann wurde ihr langsam bewußt, daß das Fenster den Eingang des Loft zeigte, gefilmt von der Wachkamera über der Tür. Es brauchte noch einmal eine Weile und weiteres Tönen des Türgongs, ehe sie begriff, daß sie eine reale Szene sah. In der Gegenwart.
    Mach die Augen zu! beschwor eine innere Stimme sie. Das alles soll weggehen. Mach sie nie wieder auf. Es ist ein Albtraum.
    Doch es war kein Albtraum. Sie wußte, daß es keiner war, auch wenn es fast das einzige war, was sie in diesem Moment noch wußte. Mit einer Hand hielt sie eine leere Kaffeetasse so fest umklammert, daß sie schon einen Krampf in den Fingern hatte, dabei konnte sie sich gar nicht erinnern, sie genommen zu haben. Sie schaute durch den strudelnden dunklen Tunnel und sah Dread ruhig auf seinem Komabett liegen, eine Million Meilen weit weg.
    Das Licht der Sterne, dachte sie fahrig. Es braucht Jahre, deshalb wirkt es so kalt, wenn es hier ankommt. Aber wenn man nahe dran wäre, würde es einen sofort verbrennen …
    Der Türgong tönte wieder.
    Er wird mich umbringen, dachte sie. Auch wenn ich fliehe. Wo ich auch hingehe, was ich auch mache…
    Steh auf, dumme Kuh! Diese letzte Stimme war sehr leise, aber die Dringlichkeit darin durchbohrte den Nebel in ihrem Kopf, das dumpfe Unwirklichkeitsgefühl, das ihr einziger Schutz davor war, vom Grauen überwältigt zu werden. Sie erhob sich schwankend und wäre gestürzt, wenn sie sich nicht an der Lehne festgehalten und gewartet hätte, bis ihre Beine etwas weniger zitterten. Der Sessel knarrte. Sie riß entsetzt den Kopf herum, doch Dread lag immer noch regungslos da, die Grabskulptur eines Gottes aus dunklem Tropenholz. Sie stolperte zur Treppe und stieg sie hinunter wie eine Gehbehinderte. Abermals gongte es, aber die Sprechanlage war oben; hier unten am Fuß der Treppe war es nur ein fernes Geräusch, das klang, als ob etwas im Meer versank.
    Wenn ich mich hier hinlege, dachte sie, werde ich es nach einer Weile nicht mal mehr hören.
    Doch ein innerer Zwang war stärker: Mit dem Daumen entriegelte sie das Sicherheitsschloß und öffnete dann die Tür. Aus der Nähe sah sie, daß die Gestalt in der Tür kleiner war als sie, allerdings breiter gebaut. Dunkle Locken, die Augen verengt, als wäre sie mißtrauisch oder verärgert. Eine Frau.
    Eine Frau …, dachte sie. Wenn es eine Frau ist, muß ich ihr Bescheid sagen … sie warnen … Aber sie konnte keinen klaren Gedanken

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