Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
fassen. Sie konnte sich an nichts erinnern. Die Dunkelheit war sehr dicht.
    »Entschuldigung«, sagte die Fremde nach kurzem Zögern. Ihre Stimme war tief und fest. »Tut mir leid, dich am Sonntag zu stören. Ich suche jemand namens Hunter.«
    »Hier … gibt’s …« Dulcy mußte sich an den Türpfosten lehnen. »Hier gibt’s niemand mit dem Namen.« Ein bißchen war sie froh. Sie konnte die Tür schließen und wieder hinaufgehen und die Schwärze über sich ziehen wie eine Decke. Aber … Hunter? Wieso kam ihr der Name bekannt vor? Andererseits, wieso kam ihr überhaupt noch irgend etwas bekannt vor?
    »Bist du sicher? Entschuldige, aber habe ich dich geweckt?« Die Frau musterte sie eingehend mit einer Miene, aus der Besorgnis sprach – und noch etwas anderes. »Geht’s dir nicht gut?«
    Da kam es ihr, eine Erinnerung wie aus einem anderen Land, aus einem anderen Leben. Hunter – das war der Name auf allen Dokumenten für den Loft. Sie hatte ihn in Dreads System gesehen, hatte ihn für ein x-beliebiges Pseudonym gehalten, aber jetzt … Der Jäger … »O Gott«, sagte sie.
    Die Frau trat vor und faßte sie am Arm, sanft, aber mit einem Griff, der verriet, daß sie sehr viel fester zupacken konnte, wenn sie wollte. »Könnten wir uns vielleicht unterhalten? Mein Name ist Skouros – ich bin Polizistin. Ich hätte da ein paar Fragen.« Ihre Augen spähten kurz in das Dunkel hinter Dulcy. »Magst du einen Moment mit rauskommen?«
    Dulcy war überrumpelt, gelähmt, so als hätte sie einen Anfall in Zeitlupe. »Ich … ich kann nicht … Er …«
    »Ist sonst noch jemand zuhause?«
    Das war eine witzige Frage, wenn man’s recht bedachte. Ja, wo war er eigentlich? Otherland nennt es sich. Irgendwo? Nirgendwo? Dulcy mußte lachen. Doch als sie sich hörte, klang das Lachen nicht gut. »Nein, er ist … weg …«
    »Dann laß uns doch raufgehen. Wäre dir das recht?«
    Sie konnte nur nicken. Ich bin ein Gespenst, dachte sie und versuchte sich zu erinnern, wie das Leben vor der Dunkelheit gewesen war. Alles egal – ob ich jetzt vor Gericht gestellt oder ausgewiesen werde. Ich kann es nicht ändern.
    Während sie die Treppe hochgingen, holte die Frau etwas aus ihrer Manteltasche. Dulcy dachte schon, es wäre eine Pistole, doch es war nur ein kleines, schwarzsilbernes Pad. Die Frau führte es an den Mund, wie um hineinzusprechen, da fielen Dulcy plötzlich die Dateien ein, die auf ihrem Pad weiterhin über den Bildschirm liefen, für jedermann gut sichtbar. Nuba 27. Diese zuckenden Finger, wie eine Ertrinkende auf dem Meeresgrund … Zugleich mit dem eisigen Schreck überkam sie eine heftige Scham, so als ob die gräßlichen Szenen von ihr wären, ihre eigene Schande, und als sie den oberen Treppenabsatz erreichten, nahm sie die Hand der Frau.
    »Es sind nicht meine«, erklärte sie. »Ich wußte von nichts. Ich … er …«
    Und als sie sich umdrehte, immer noch die Hand der Frau gefaßt, sah sie, daß das Komabett leer war.
    »Erzähl mir einfach …«, begann die Frau, doch weiter kam sie nicht. Mit einem scharfen Keuchen stieß sie die Luft aus, taumelte vier oder fünf Schritte in den Raum hinein und fiel dann vornüber aufs Gesicht. Ein großes Messer ragte aus ihrem Rücken, als wäre es durch ein Wunder dort erschienen, und ein mehrere Zentimeter langes Stück Klinge funkelte zwischen dem Griff und dem roten Fleck, der sich um die Einstoßstelle im Mantel herum rasch vergrößerte. Dulcy konnte nur fassungslos die Frau anstarren, die eben noch geredet hatte und auf einmal stumm und regungslos dalag. Augenblicklich kam die Schwärze zurück, legte sich um sie wie wehender Nebel.
    »Ach, Süße, was machst du für Sachen, wenn Papa nicht aufpaßt?«
    Dread trat aus dem Schatten hinter der Wohnungstür hervor. Er hatte seinen weißen Bademantel an, locker zugebunden. Lautlos wie eine Katze ging er auf nackten Füßen an ihr vorbei und stellte sich neben die Polizistin. Ihre Augen, sah Dulcy, waren noch offen. Eine rote Speichelblase zitterte in ihrem Mundwinkel. Dread beugte sich zentimeterdicht an das Gesicht der Frau heran.
    »Schade, daß ich keine Zeit habe, es dir richtig zu geben«, sagte er zu ihr. »Das muß viel Arbeit gewesen sein, mich hier aufzuspüren. Aber grade geht alles etwas hopplahopp, da kann ich leider keine Pause für ein kleines Spielchen einschieben.« Grinsend stand er auf, von manischer Energie leuchtend wie ein Weihnachtsbaum. »Und du, Dulcy, mein Schnuckelchen, was hat dir denn dein

Weitere Kostenlose Bücher