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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Cerberus. Ein anderer Kopf beobachtete ihn und schätzte ihn mitten im wildesten Ringen ab, ja schien sogar auf eine paradoxe Art, die er nur fühlen, aber nicht näher definieren oder erklären konnte, keinerlei Groll gegen ihn zu hegen. Er fragte sich, ob die Abwehrreaktionen ein Verhalten waren, worüber das Betriebssystem als Ganzes so gut wie keine Kontrolle hatte, ähnlich wie ein normaler Mensch sein eigenes Immunsystem nicht bewußt kontrollieren konnte. Dieser zweite Kopf, vermutete er, war der Teil des Betriebssystems, der es zu etwas wie echter Intelligenz gebracht hatte. Er mußte auch der Teil sein, der Kinder wie Cho-Cho unangetastet in das Netzwerk einließ – denn woher sollte ein bloßes Sicherheitssystem wissen, ob ein menschlicher Benutzer ein Kind war oder nicht? – und der Sellars’ Helfer auf Schritt und Tritt durch das Netzwerk verfolgte.
    Und es gab, spürte Sellars, noch einen dritten Kopf, der schweigend von ihm abgewandt war, doch was dieser Kopf dachte – was er träumte? –, konnte er nur vermuten. In gewisser Hinsicht beunruhigte ihn dieser dritte Kopf am allermeisten.
    Eine neue Salve von Abwehrschlägen brach unvermittelt los, eine brutale Generaloffensive, die ihn mitriß wie ein Orkan und ihn minutenlang an nichts anderes denken ließ als an das nackte Überleben. Wieder fühlte er die Hand, die nach seinem Nervenzentrum griff. Der Versuch schlug fehl, doch Sellars wußte, wenn das Hin und Her lange genug dauerte, würde diese monströse und erschreckend schlaue Maschinenintelligenz einen Weg finden, seine Verteidigung zu unterlaufen. Allmählich fragte er sich, wie lange er schon hier im Nirgendwo mit diesem Cerberus rang.
    Nachdem er den Sturmangriff überstanden und sich ein paar Sekunden lang eine dringend nötige Verschnaufpause gegönnt hatte, griff er ganz kurz auf sein eigenes System zu und stellte fest, daß fast ein ganzer Tag vergangen war, seit er und Cho-Cho die Verbindung zum Netzwerk hergestellt hatten. Einen ganzen Tag lang kämpfte er schon um sein Leben! Kein Wunder, daß er völlig erschöpft war.
    In der wirklichen Welt war es bereits Sonntag nachmittag. Ihm lief die Zeit davon. Wenn er das System zerstörte oder wenn das System ihn zerstörte, war es vorbei. Er mußte sich etwas anderes ausdenken. Seine einzige Hoffnung war, daß Olga Pirofsky und Catur Ramsey die Datenklemme anbringen konnten und daß er dann aus dem Gralsnetzwerk die nötigen Aufschlüsse herausziehen konnte.
    Nein, sagte er sich, nicht bloß Aufschlüsse, sondern eine wirkliche Lösung für dieses unmögliche Problem.
    Aber er konnte es sich nicht einmal erlauben, sich über den Fortgang ihrer Bemühungen zu informieren, solange er nicht wenigstens noch eine Angriffswelle des Sicherheitssystems überstanden hatte. Ganz am Anfang hatte er in den kurzen Zwischenpausen ein paar eilige Notanrufe gemacht und das eine oder andere essentielle Abwehrgear aufgestöbert und aktiviert, aber um sich mit der Anzapfung zu befassen, brauchte er viel mehr Zeit.
    Die nächste Attacke folgte recht bald, und er war froh, daß er gewartet hatte. Sie war mindestens so heftig wie die vorherigen, doch noch während er die vielen zustoßenden Speerspitzen abschlug, meinte er, diesmal noch etwas anderes wahrzunehmen, ein leichtes Nachlassen der Entschlossenheit, oder wie er es sonst nennen sollte. Nachdem er die meisten Sicherheitsroutinen kurzfristig deaktiviert hatte, alle außer den elementarsten, die er bedenkenlos seiner Abwehrautomatik überlassen konnte, gedachte er, seine Aufmerksamkeit den Vorgängen im Turm der J Corporation zuzuwenden. Doch als er gerade auf sein eigenes System und seine Verbindungen zur realen Welt umschalten wollte, stockte er noch einmal und verharrte zögernd im Dunkeln. Etwas, das er nicht benennen konnte, störte ihn.
    Dieses Zögern war seine Rettung. Der Angriff, der nur wenige Augenblicke nach der Niederschlagung des letzten folgte, war der bis dahin aggressivste, denn er richtete sich nicht nur mit verdoppelter Kraft gegen seinen Anschluß, sondern war ein konzentrierter, von vielen Seiten geführter Versuch, seinen Widerstand gegen die subtilere und totalere physische Kontrolle zu brechen. Eine ganze Weile fühlte er körperlich, wie das Ding durch die Leitung nach ihm faßte, ein Ungeheuer, von dem ihn nur noch eine dünne, zersplitternde Tür trennte, und Sellars packte das Grauen. Aus der schwarzen Bildlosigkeit wurde eine Finsternis anderer Art, eine endlose Leere, in

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