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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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schrecklichen Gedanken zuckte Paul durch den Kopf. »Aber das … das gibt doch keinen Sinn. Ein Klon ist nicht derselbe Mensch, er hat bloß dasselbe Erbgut. Er würde sich zu einem völlig andern Menschen auswachsen, weil seine Erfahrungen … andere wären …«
    »Ich sehe, daß du langsam begreifst. Ja, er wäre nicht ich. Aber wenn ich ihn unter Bedingungen aufwachsen lassen würde, die meinen eigenen soweit wie möglich gleichen, dann wäre er mir ähnlicher. Ähnlich genug, um würdigen zu können, was ich getan habe. Vielleicht sogar ähnlich genug, um mich eines Tages aus den bereits angefertigten Gralskopien, auch wenn sie mangelhaft waren, wieder zum Leben zu erwecken.« Jongleur schloß sinnend die Augen. »Alles war bereit. Wenn er eines Tages als Erwachsener seinen wahren Namen - Har-sa-Iset, der jüngere Horus – in mein System gesprochen hätte, wäre das sein Zugangscode gewesen. Das ist der wahre Horus der ägyptischen Mythologie, der aus dem Leichnam des Osiris geborene Horus. Alle meine Geheimnisse wären an ihn übergegangen.« Er zog ein verdrießliches Gesicht. »Wenn ich bei der Gründung der Gralsbruderschaft schon an das Uschebtiprojekt gedacht hätte, hätte ich diesem schwachsinnigen Yacoubian niemals den Codenamen ›Horus‹ gegeben …«
    »Moment mal. Du … du wolltest für einen Klon deine eigene Kindheit neu erschaffen?« Der Wahnsinn des Mannes überstieg Pauls Vorstellungsvermögen. »Im obersten Geschoß eines Wolkenkratzers?« Da traf ihn ein Gedanke wie ein Stein. »O Gott – Ava? Sie sollte …«
    »… die Mutter sein. Meine Mutter, oder wenigstens die Mutter meines Uschebti. Ein Gefäß für die Bewahrung des Blutes.«
    »Lieber Himmel, du bist wirklich verrückt. Wo hast du das arme Mädchen hergenommen? War sie irgendeine Schauspielerin, die du gekauft hast, damit sie deine gebenedeite Mama abgibt? Deine wirkliche Tochter kann sie ja nicht gewesen sein, es sei denn, du hättest auch sie in einem genetischen Labor gezüchtet.« Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Alle Kraft wich aus seinem Körper, und er wurde eiskalt bis ins Mark. »O nein. So war es, nicht wahr? Du hast sie … erzeugt?«
    Pauls Erschrecken schien Jongleur gelinde zu amüsieren. »Ja. Sie war ein anderer Klon von mir, natürlich weiblich modifiziert und damit letztlich doch recht verschieden. Guck nicht so schockiert – bei den Ägyptern waren Geschwisterchen gang und gäbe. Wieso sollte ich für das Fortleben meines Blutes weniger tun? Ich hätte sogar meine leibliche Mutter als Spenderin von Avialles Erbgut genommen, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, ihre Leiche zu exhumieren. Sie hatte zu dem Zeitpunkt fast zweihundert Jahre auf dem Friedhof in Limoux geruht und ruht dort immer noch. Ihr Friede wurde nicht gestört.« Er machte eine abwinkende Handbewegung. »Aber das war ohnehin nur von geringer Bedeutung. Die Mutter sollte schließlich keine DNS liefern. Sie war nur der Wirtsorganismus, der meinen wahren Sohn austragen, gebären und dann großziehen sollte.«
    »Gott steh mir bei, es wird immer schlimmer. Dann hatte Ava also doch recht – sie war schwanger!«
    »Kurz. Aber dann gelang uns ein Durchbruch mit dem Gralsprojekt, und ich gab die Uschebti-Idee auf.«
    »Und hast den Embryo wieder entfernen lassen. Aber Ava hast du weiter … behalten. Als Gefangene.«
    Einen Moment lang verrutschte Jongleurs verächtliche Maske. »Ich … ich hatte Gefühle für sie entwickelt. Meine leiblichen Kinder sind schon lange tot. Ihre Nachfahren kenne ich kaum.«
    Paul legte den Kopf in die Hände. »Du … du …« Er tat einen tiefen, zittrigen Atemzug. »Ich sollte aufhören, aber ich muß einfach weiterfragen. Was ist mit mir? Was hattest du vor, bevor Ava sich in mich verliebte und damit deine Pläne vereitelte?«
    Das kalte Lächeln erschien wieder. »Sie hat gar nichts vereitelt. Genau damit hatte ich gerechnet. Meine eigene Mutter hatte eine Affäre mit ihrem Hauslehrer. Er beging Selbstmord. In ihrem Kummer ließ sie sich von ihren Eltern mit meinem Vater verheiraten, aber die Traurigkeit ist sie niemals losgeworden, sie hat ihr ganzes weiteres Leben bestimmt. Ohne diese Geschichte wäre sie nicht die Mutter gewesen, die ich kannte.« Sein Lächeln verzerrte sich. »Diese Idioten Mudd und Finney waren schuld, daß die Situation außer Kontrolle geriet. Sie hätten euch beide in Ruhe lassen sollen, bis wir soweit waren, dich zu beseitigen. Ich hatte gerade das Uschebtiprojekt

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