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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sich seine Miene. »Verdammt, Fredericks, du weinst schon wieder.« Er wischte ihr eine Träne von der Backe und hielt den Finger hoch, so daß sie im Feuerschein funkelte. »Nicht doch.«
    »Was … was sollen wir machen?« wisperte sie schwer atmend und bemüht, das Schluchzen zu unterdrücken.
    »Uns möglichst nicht umbringen lassen. Oder in meinem Fall mich möglichst nicht nochmal umbringen lassen.« Er drückte sich in eine sitzende Haltung hoch. »Und jetzt erzähl mir, was nach meinem Tod alles passiert ist.«
    Überrumpelt von seiner Lakonik lachte sie wider Willen schrill auf, doch sie hatte ein ganz hohles Gefühl dabei. »Verdammt, Gardiner, laß den Quatsch!«
    Er grinste. »’tschuldigung. Manche Sachen ändern sich einfach nicht, wie’s scheint.«
     
     
    > Sie holte ihn an der Uferkante ein. Ohne ein Wort zu sagen, hakte sie sich bei ihm unter. Er zuckte bei dem unerwarteten Kontakt leicht zusammen, aber machte sich nicht los. Es war angenehm, angefaßt zu werden, merkte er, und dabei merkte er auch, daß er gern weiterleben wollte.
    »Ich hatte nicht vor, reinzuspringen«, sagte er.
    »Das habe ich auch nicht erwartet«, entgegnete sie. »Aber es wäre dumm gewesen, wenn du zufällig hineingefallen wärst.«
    Er bog ab, und sie drehte sich an seiner Seite mit. Gemeinsam gingen sie am Ufer entlang.
    »Sag«, forderte sie ihn auf, »ist dir diesmal alles wieder eingefallen?«
    »Mehr als mir lieb ist«, antwortete er.
    Während er ihr seine wiedergewonnenen Erinnerungen – eigentlich sein wiedergewonnenes Leben – und Jongleurs bizarre Bekenntnisse schilderte, begann er sich mehr denn je dafür zu schämen, daß er so ein Weichling gewesen war, daß er sich von den Ereignissen seines früheren Lebens so widerstandslos zu so einem furchtbaren Ausgang hatte mitreißen lassen.
    »… Und Ava – sie war so jung!« Er hatte die Fäuste so fest geballt, daß Martine das Beben in seinem Arm fühlen mußte. »Wie konnte ich bloß …?«
    »Wie konntest du was?« Zu seiner Verwunderung hörte er Ärger in ihrer Stimme. »Ihr Trost bieten? Dein Bestes tun, um ihr in einer aberwitzigen, erschreckenden, unerklärlichen Situation beizustehen? Hast du versucht, sie zu verführen?«
    »Nein!«
    »Hast du dir ihre Ahnungslosigkeit zunutze gemacht, ihre behütete Unschuld …?«
    »Nein, natürlich nicht. Jedenfalls nicht vorsätzlich. Aber indem ich das Spiel mitmachte und weiter ihr Lehrer blieb, obwohl ich wußte, daß die ganze Sache faul war …«
    »Paul.« Sie verstärkte den Druck auf seinen Arm. »Jemand … ein Bekannter … hat mir einmal etwas gesagt. Es war auf mich gemünzt, aber auf dich trifft es genauso zu. ›Du läßt nie eine Gelegenheit aus, den Blick konsequent auf die falschen Sachen zu richten‹, meinte er.« Sie gab einen Laut von sich, der möglicherweise ein Lachen war. Paul überlegte zum erstenmal, wie die wirkliche Martine aussehen mochte, und bedauerte, daß ihr simuliertes Äußeres wegen ihrer Blindheit langweilig und nichtssagend war. »In bezug auf mich war der Spruch natürlich noch witziger«, sagte sie. »Wegen dem Blick.«
    »Klingt grausam, dein Bekannter.«
    »Das fand ich damals auch, und ich habe ihn deswegen geschätzt – ich war in meiner Studentenzeit sehr zynisch. Aber heute denke ich, daß er einfach nicht die innere Stärke besaß, herzlich zu sein.« Sie lächelte. »Das können für uns alle die letzten Stunden sein, Paul Jonas. Willst du sie wirklich damit verschwenden, dir vorzuhalten, was du womöglich alles falsch gemacht hast?«
    »Lieber nicht.«
    Sie gingen eine Weile schweigend neben dem schwach pulsenden Brunnen einher.
    »Es ist hart«, sagte er schließlich. »Die ganze Zeit habe ich gedacht, ich würde sie irgendwie finden … sie retten. Oder sie würde vielleicht mich retten.«
    »Du sprichst von … Ava?« fragte sie behutsam.
    Er nickte. »Aber es gibt in Wirklichkeit keine Ava. Avialle Jongleur ist tot, und was von ihr übrig ist, sind nur Fragmente. Zusammengehalten vom Andern, nehme ich an, aber nicht wirklich sie selbst. Es ist, als wollte man ein Puzzle zusammensetzen, ohne daß man alle richtigen Stücke hat. Auf seine Art muß der Andere sie mehr geliebt haben als irgendwer sonst – sicherlich mehr als ihr sogenannter Vater. Mehr als ich. Sie war sein Engel.«
    Martine erwiderte nichts.
    »Da ist noch etwas«, sagte er nach einer Weile. »Jongleur hat gemeint, daß mein Körper, soweit er weiß, noch am Leben ist.«
    »Glaubst du, er

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