Otherland 4: Meer des silbernen Lichts
und gab Orlando einen leichten Klaps. »Echt sattes Wunder mit dir, äi. Kannste Gott danken, tick?«
»Nandi, Missus Simpkins, vielleicht könntet ihr mir auch behilflich sein?« drängte Florimel. »Und Azador, einige von deinen Leuten brauchen bestimmt genauso jemanden, der nach ihnen schaut.«
»Schon gut, ich muß es nicht mit dem Holzhammer beigebracht bekommen«, sagte Bonita Mae Simpkins. Auch sie streichelte Orlando kurz, bevor sie ging. »Javier hat recht, Junge, es ist ein Wunder, daß du wieder bei uns bist. Wir lassen euch beide ein bißchen allein. Ihr habt euch sicher viel zu erzählen, nehm ich mal an.«
Sam schnitt hinter dem Rücken der Abziehenden eine Grimasse. »Blöd. Die tun grad so, als ob wir verliebt wären oder so.«
Orlando lächelte matt. »Ja, blöd.« Seine Augen und Wangen waren noch naß. Er wischte sich mit dem Handrücken das Gesicht. »Das ist mir furchtbar peinlich. Thargor weint nie.«
Durch Sams Herz ging abermals ein Stich. »Ach, Orlando, du hast mir so gefehlt! Ich hätte nie gedacht, daß ich dich nochmal wiedersehe.« Jetzt weinte sie auch. Unwirsch betupfte sie sich mit dem zerfetzten Ärmel ihres Zigeunerkleides die Augen. »Sowas Albernes! Jetzt wirst du anfangen, in mir ein Mädchen zu sehen!«
»Aber du bist ein Mädchen, Frederico«, sagte er sanft. »Das ist zwar das erste Mal, daß ich dich als eines sehe, aber du bist eindeutig ein Mädchen.«
»Nicht für dich! Nicht für dich, Gardiner! Du hast mich immer wie einen Menschen behandelt!«
Er seufzte. »Ich hab deine Stimme erkannt, als ich … zurückgekommen bin. Ich hab gesehen, wie du mir gegen diese Bestien helfen wolltest. Ich hätte dich gut und gern selber umbringen können. Was hast du dir dabei gedacht?«
»Ich wollte nicht dasitzen und zuschauen, wie du ermordet wirst, du verdumpfter Idiot! Ich hab dich schon einmal für tot gehalten.«
»Ich war tot. Ich bin tot.«
»Red keinen Fen-fen!«
»Mach ich gar nicht.« Er nahm ihre Hand. »Hör zu, Sam. Das ist wichtig, echt wichtig. Was auch geschehen mag, das muß dir ein für allemal klar sein. Ich will nicht, daß du meinetwegen noch mehr leidest.«
Etwas an seinem Ton rührte sie an, machte ihr Herzflattern. Es war nicht Liebe, ganz gewiß nicht die Art Liebe, von der die Kids in der Schule und im Netz immer redeten, sondern etwas, das größer, tiefer und fremdartiger war. »Was meinst du damit?«
»Ich bin gestorben, Sam. Ich weiß es genau. Ich hab’s gespürt. Ich hab mit diesem Kerl gekämpft, diesem Gralssack mit dem Vogelkopf …« Er stockte. »Was ist da eigentlich passiert, sag mal?«
»Du hast ihn getötet«, erklärte sie stolz. »T4b hat ihm seine Hand in den Kopf gesteckt – diese leuchtende Hand, erinnerst du dich? Und dann hast du ihm dein Schwert ins Herz gestoßen, und er ist auf dich gefallen …« Da fiel ihr etwas ein. »Oh, dein Schwert …!«
Orlando winkte ab und ließ sie nicht ausreden. »Das hab ich hier in der Hand. Hör zu, Sam. Ich hab mit diesem Vogelkerl gekämpft, und alles in mir … ging aus. Das hab ich gespürt. Und danach war ich weg – total weg! Ich war irgendwo anders, und … ich kann’s nicht erklären. Alles war schwarz, und irgendwann bin ich dann hier durch die Lichter nach oben geschwommen und hab genau gewußt, daß ich diese beiden Bestien töten muß, und … und …« Er zog die Stirn kraus und wollte sich aufsetzen, doch Sam drückte ihn mit sanfter Gewalt zurück. »Und im Grunde ist mir das völlig unklar. Aber eins weiß ich. Der andere Orlando, der mit der Progerie, der mit einer Mutter und einem Vater und einem Körper … der ist weg.«
»Was soll das heißen?«
»Erinnerst du dich noch, was diese Gralsbrüder bei ihrer Zeremonie gesagt haben? Daß sie ihren Körper aufgeben müßten, um im Netzwerk zu leben? Tja, ich denke, genau das ist mit mir passiert. Ich weiß nicht wie, aber … aber ich war tot, Sam! Und jetzt bin ich’s irgendwie nicht mehr.«
»Aber das ist doch toll, Orlando! Das ist großartig!«
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin ein Geist, Sam. Mein Körper – der andere Orlando – ist tot. Ich kann nie mehr zurück.«
»Zurück …?« Langsam kam ihr die Einsicht, kalt, unausweichlich. »Du kannst nicht …?«
»Ich kann nicht in die wirkliche Welt zurück. Selbst wenn wir das alles hier überleben, selbst wenn ihr andern alle wieder heimkehrt … ich kann nicht mit euch gehen.« Er sah sie lange mit großen, beinahe fiebrigen Augen an. Dann entspannte
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