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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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schier den Atem, während er sich vor Halsall und den anderen älteren Jungen im Wäschetrockenschrank versteckte. Er konnte sie beinahe hören.
    »Jingle? Jingle-Jangle? Komm raus, Franzmann. Wir ziehen dir die Hosen runter, du kleiner Scheißer!«
    Mit einem kurzen tonlosen Wimmern verdrängte er die Erinnerung. Wie? Wie hat irgend jemand in mein Allerheiligstes eindringen können?
    Die verzweifelte Hoffnung, daß es ein tapferer Techniker war, der sich zum Bleiben entschlossen hatte, zerbrach in tausend kalte Scherben, als er das Bild näher betrachtete. Der Eindringling war eine Frau, eine ältere Frau mit kurzen Haaren. Er hatte sie nie zuvor gesehen. Noch erstaunlicher war, daß sie die Arbeitsuniform seines eigenen Unternehmens trug.
    Eine Putzfrau? Auf dieser Etage? Auf meiner Etage? Es war so absurd, daß er fast gelacht hätte, wenn nicht die Angst gewesen wäre, die diese ungeheuerliche Verletzung seiner Privatsphäre ihm einjagte, und wenn alles, was außen vor sich ging, ihn nicht mit Verwirrung und Mißtrauen erfüllt hätte. Nein, im Augenblick war ihm nicht im geringsten nach Lachen zumute. Er starrte ihr Gesicht an, versuchte darin irgend etwas zu erkennen, das ihm verriet, wer sie war, was sie bezweckte. Sie bewegte sich langsam und schaute sich sichtlich unsicher und verwundert um, genau wie eine, die sich zufällig in den Raum verirrt hatte. Von planmäßigem Handeln war nichts zu bemerken, nichts von der Entschlossenheit eines Saboteurs oder Attentäters. Jongleur atmete ein wenig auf, doch er fürchtete sich immer noch. Wie konnte er sie loswerden? Es waren keine Angestellten greifbar, nicht einmal seine Sicherheitsdienstler. Wut baute sich in ihm auf.
    Sie wird mich zu hören bekommen, beschloß er, und zwar laut. Wie das Brüllen eines zornigen Gottes. Das wird sie in die Flucht schlagen. Doch bevor er seine Stimme durch das Tonsystem donnern ließ, rief er das Identifizierungsprotokoll des Raumes auf, weil er wissen wollte, wie sie hereingekommen war.
    Es war eine einfache Blankovollmacht, die gleiche Zulassung, mit der sich seine speziell ausgewählten und bewährten Techniker zwischen den Etagen bewegten. Sie war auf Olga Czotilo, Raumpflegerin, ausgestellt. Etwas an dem Namen kam ihm vage bekannt vor. Und zu seinem Erstaunen war auf ihrer Kontrolliste ein Code aufgeführt, den er nicht gleich erkannte. Wo war sie zuletzt gewesen? Eine Weile zermarterte er sein Gehirn – er hatte diesen Code schon lange nicht mehr gesehen.
    Oben, durchfuhr es ihn, und vor Schreck krampfte sich alles in ihm zusammen. Sie ist auf der verschlossenen Etage gewesen … am Todesort … Wie ist sie da reingekommen …? Wer hat ihr geholfen …? Und in dem Moment fiel ihm ein, woher er ihren Namen kannte.
    Felix Jongleurs Atmung wurde beängstigend flach. Sein Puls flatterte und schnellte dann in die Höhe. Wieder wurden beruhigende Chemikalien eingespritzt, floß ein Strom von Herzmitteln durch Plastikschläuche in seinen steinalten Körper, doch nicht genug, um das jähe, tödliche Grauen zu dämpfen, nicht annähernd genug.
     
     
    > Das Stockwerk war genauso groß wie das darunter und das darüber, aber beklemmend leer. Es gab hier weder die kalte Erhabenheit von tausend in Reihen stehenden Apparaten noch das surreale Gewucher eines unübersehbaren Zimmerwaldes. Nur ein nicht ganz geschlossener Ring von Apparaten, klotzig und hoch aufragend wie ein druidisches Steindenkmal, stand in einem Lichtkegel in der Mitte des riesigen, ansonsten dunklen Saales. Und in der Mitte dieser Anlage wiederum waren auf einem Kreis aus Marmorplatten vier schwarze Behälter zu einem Dreieck angeordnet, einer von fast fünf mal fünf Metern Grundfläche im Zentrum, ein fast genauso großer direkt darüber und zwei kleinere etwas abgesetzt an den Basisenden.
    Kein Dreieck, sagte sie sich. Eine Pyramide.
    Särge, dachte sie nach einer Weile. Sie sehen aus wie die Särge toter Könige.
    Sie trat heran, ohne daß es ein Geräusch gab, da der nachtschwarze Teppichboden den Schall ihrer Schritte schluckte. Die übrige Raumbeleuchtung ging langsam an, und obwohl der Scheinwerfer, der das Ensemble der Apparate und Kunststoffsarkophage bestrahlte, nach wie vor das stärkste Licht war, konnte sie jetzt die fernen Wände erkennen. Sie waren sämtlich fensterlos und mit einem Stoff überzogen, der genauso dunkel und nicht reflektierend war wie die Auslegware, so daß die Anlage in der Mitte des Saales selbst jetzt bei der größeren

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