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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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müßte er selbst mit den Tränen kämpfen. »Er ist nicht in dem Gebäude. Er ist nicht einmal auf der Erde.«
    Ihr knickten die Beine ein. Sie sackte zusammen und fiel vornüber, so daß sie mit der Stirn auf den Teppichboden schlug. »Was soll das heißen?« jammerte sie. »Ich verstehe das nicht.«
    »Bitte, Olga. Bitte. Es tut mir unendlich leid. Aber ich muß dir alles sagen. Wir haben sehr wenig Zeit.«
    »Zeit? Ich habe mein Leben lang gedacht, mein Kind wäre tot, und du erzählst mir jetzt, ich hätte keine Zeit? Wieso? Was soll das?«
    »Bitte. Hör mir zu.« Sellars tat einen tiefen, zittrigen Atemzug. »Jongleur und seine Techniker haben das Gralssystem um dein Kind herum konstruiert. Seine Anomalie … seine besondere Begabung, wie du es nennen willst, die Hypermutation, die ihn unter andern Umständen lange vor dem Geburtstermin umgebracht hätte und dich vielleicht auch, gerade sie machte ihn für die Gralszwecke ideal. Trotz des kolossalen Aufwands, mit dem sie sich eine Welt für die Ewigkeit entwarfen, konnten sie kein virtuelles Environment erschaffen, das von der Umsetzung her schnell und lebensecht genug war, auch nicht mit den besten Informationstechnologien, die es gab. Was nützte es ihnen, unsterblich zu sein, wenn sie keinen geeigneten Ort hatten, um diese Unsterblichkeit zu genießen? Also bauten Jongleur und seine Wissenschaftler einen gewaltigen Simultanprozessor auf der Grundlage menschlicher Gehirne, größtenteils von Föten, und vertrauten darauf, daß dein Sohn mit seinen angeborenen Fähigkeiten zwischen diesen Gehirnen Verbindungen herstellen konnte, zu der keine Apparatetechnik der Welt in der Lage war, daß er sie beherrschen und daraus das Betriebssystem für ihr Netzwerk gestalten konnte.
    Doch es gab von Anfang an Probleme. Das menschliche Gehirn ist kein Computer. Es braucht ein menschliches Umfeld und eine entsprechende Betätigung, um zu reifen. Wenn es nicht lernt, entwickelt es sich nicht. Dein Sohn war ein Sonderfall, wie er unter Milliarden nur einmal auftritt, Olga, aber er war dennoch ein menschliches Kind. Die Ingenieure und Wissenschaftler des Gralsprojekts sahen schließlich ein, daß sie dieses unglaublich leistungsstarke Betriebsmittel unterrichten mußten, wenn sie damit etwas anfangen wollten. Wenn es nicht mit andern menschlichen Gehirnen in Kontakt kam, kommunizieren und gewissermaßen sogar vernünftig denken lernte, würde es für sie wertlos bleiben.
    Paradoxerweise machten die Gralsleute ihn nur deswegen mit menschlicher Kultur bekannt, um ihn zur bestmöglichen Maschine auszubilden. An seiner Menschlichkeit hatten sie kein Interesse. Und das wurde ihnen letztlich zum Verhängnis.« Aus seiner Stimme sprach eine gewisse grimmige Befriedigung.
    »Um also seine Entwicklung zu fördern, führten sie von früh an Experimente durch, in denen sie ihn mit andern Kindern, normalen Kindern, in Kontakt brachten. Eine der Personen, die sich derzeit in dem System aufhalten, eine Frau namens Martine Desroubins, war eines dieser Kinder. Sie kannte deinen Sohn nur als Stimme – aber sie kannte ihn.«
    Olga hatte inzwischen aufgehört zu weinen. Sie saß an den Behälter gelehnt und starrte auf ihre Hände. »Ich verstehe nichts von alledem. Wo ist er jetzt? Was haben sie mit ihm gemacht?«
    »Sie haben ihn benutzt, Olga. Dreißig Jahre lang haben sie ihn benutzt. Es tut mir weh, dir das zu sagen – das mußt du mir bitte glauben –, aber sie haben ihn nicht gut behandelt. Er ist im Dunkeln aufgewachsen, bildlich und wörtlich gesprochen. Er weiß nicht einmal, was er ist – er handelt fast ohne Überlegung, nur halb wach, träumend, verworren. Er hat die Kräfte eines Gottes, aber das Weltverständnis eines autistischen Kindes.«
    »Ich will zu ihm! Es ist mir egal, was er ist!«
    »Ich weiß. Und ich weiß, daß du schonungsvoll sein wirst, wenn du mit ihm sprichst. Du wirst versuchen zu verstehen.«
    »Was zu verstehen?« Sie atmete jetzt schwer, die Hände zu Fäusten geballt. Eine Feueraxt, dachte sie. Es muß doch irgendwo eine Feueraxt geben. Ich werde damit den schwarzen Sarg von diesem Jongleur in Stücke hauen, ihn ans Licht zerren wie einen Wurm aus seinem Loch …
    »Dein Sohn ist … kein normaler Mensch. Wie denn auch? Er spricht fast ausschließlich durch andere. Irgendwie ist er eine Verbindung mit den Kindern eingegangen, die jetzt im Tandagorekoma liegen. Diesen Teil begreife ich noch nicht ganz, aber …«
    »Er spricht durch … andere

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