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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Regierungen, Konzernen, Bildungsinstitutionen.
    Das war natürlich ein gefährlicher Unfug. Heute ist mir klar, wie bitter und allem entfremdet ich gewesen sein muß. Die ursprünglichen Antivirenprogramme aus meinem eigenen System waren erheblich leistungsstärker als alles, was noch zwanzig Jahre später der gängige Netzstandard war. In direkte Konkurrenz zu fortgeschrittenen Viren gesetzt, bildeten sie rasch noch außergewöhnlichere Formen aus, was dann wiederum die Viren zu neuen Anpassungsleistungen anstachelte. Und wie schon die Tatsache erkennen läßt, daß ich diese freien Speicherplätze über das allgemeine Weltkommunikationssystem erreicht hatte, konnten meine … Schöpfungen für den Fall, daß meine Schutzvorkehrungen versagten, in das Weltnetz hinausgelangen.
    Bei den ersten Generationen hätte das kein allzu großes Problem dargestellt. Genauso komplexe und gefährliche Dinge waren längst überall im Netz im Umlauf. Aber je raffinierter meine Experimente wurden, meine Spiele, wie ich sie gedankenlos nannte, um so mehr verkürzte ich die Zykluszeit, so daß allwöchentlich Tausende von Generationen entstanden. Die Dinge, die ich erschaffen hatte, kämpften, experimentierten, veränderten sich, reproduzierten sich, und das alles in meiner künstlichen Informationswelt. Die Entwicklung trieb sie in Paradigmensprüngen voran. Die Anpassungen waren manchmal absolut verblüffend.
    Vor über zehn Jahren stellte ich eines Tages fest, daß mehrere Strategieformen – in gewisser Hinsicht unterschiedliche Geschöpfe, aber alle einer gemeinsamen Wurzel entsprungen – eine symbiotische Beziehung eingegangen, eine Art Übergeschöpf geworden waren. Ungefähr dasselbe ist auch in der wirklichen Welt auf dem langen Weg zu tierischem Leben erfolgt – wir besitzen in unserer Zellstruktur organartige Bildungen, die einmal völlig selbständige Organismen waren. Ich begann zu begreifen, mit was für einem Risiko ich spielte. Ich hatte die Anfänge von etwas geschaffen, woraus unter Umständen eine andere echte Lebensform werden konnte, vielleicht sogar eine rivalisierende Lebensform – auf Informationsbasis im Gegensatz zum organischen Leben, das hier auf Erden bis jetzt das Normale ist, aber dennoch eine Form von Leben. Meine Spiele waren deutlich nicht länger nur ein harmloser Zeitvertreib.«
    »Du hast … Leben geschaffen?« fragte Renie.
    Sellars zuckte mit den Achseln. »Damals war das höchst fragwürdig. Manche Leute meinen, daß alles, was nicht organisch ist, per definitionem auch nicht lebendig sein kann. Doch was ich geschaffen hatte … oder genauer gesagt, was die Evolution im Informationsraum geschaffen hatte … erfüllte alle sonstigen Kriterien.
    Möglicherweise wäre es das Richtige gewesen, wenn ich diese im Entstehen begriffenen Lebensformen seinerzeit gleich vernichtet hätte. Meine Entscheidung, sie zu erhalten, hat mir seitdem viele schlaflose Nächte beschert. Ihr werdet vielleicht ein bißchen gnädiger über mich urteilen, wenn ihr euch daran erinnert, daß das Militär mich meiner Gesundheit und meiner Freiheit beraubt hatte. Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits gut vierzig Jahre Gefangenschaft hinter mir. Ich hatte nichts anderes als diese … Schöpfungen. Sie waren meine Unterhaltung, meine Obsession – aber auch meine Hinterlassenschaft. Ich dachte mir, wenn es mir gelang, sie auf ein Niveau hochzuzüchten, wo ich beweisen konnte, daß die von mir angenommene Entwicklung Wirklichkeit war, dann konnte ich sie vor der Welt enthüllen. Die Regierung und das Militär hätten es sehr schwer, mich als Lügner hinzustellen oder stillschweigend umzubringen, wenn meine Experimente von Wissenschaftlern auf dem ganzen Erdball überprüft wurden.
    Und so zerstörte ich sie nicht. Statt dessen suchte ich nach einem sichereren Aufbewahrungsort, wo sie ihre Evolution fortsetzen konnten und gleichzeitig praktisch keine Chance hatten, in die Weltinformationsmatrix zu entkommen. Nach langer Suche entdeckte ich schließlich gigantische freie Speicherkapazitäten in einem abgeschirmten Privatsystem, einem atemberaubend großen System.
    Das war natürlich das Otherlandnetzwerk, von dem ich allerdings damals noch keine Ahnung hatte. Durch mehrere komplizierte Manöver verschaffte ich mir Einlaß in das unfertige System, legte ein verborgenes Subsystem an, das Speicherplatz abzweigte und diese Tatsache mit diversen Zahlenmanipulationen unkenntlich machte, und verlegte mein Experiment dorthin – auf

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