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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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vergewissern, ob sie als einzige auf der Leitung stand. »Das ist doch … was weiß ich. Kaum zu glauben. Er hat das alles mit ihnen gemacht, sie beinahe umgebracht … bloß weil er neue Freunde finden wollte?«
    »›Finden‹ ist nicht das richtige Wort. So einfach war es eben nicht für ihn, Freunde zu bekommen. Er mußte sie erschaffen. Da der Andere vor allen Dingen mit Kindern zusammensein wollte, wie er selbst eines war – oder wie er eines zu sein meinte –, beobachtete er echte Kinder, damit er sie im Netzwerk nachbilden und sich in seiner Einsamkeit mit Gefährten umgeben konnte.«
    »Das heißt, diese Märchenkinder wie das Steinmädchen und alle andern, denen wir hier im Herzen des Systems begegnet sind …« Renie dachte noch einmal nach. »Sie sind bloß … Imitationen? Nachgemachte Kinder?«
    »Ja. Zusammengesetzt nach den Beobachtungen des Andern an wirklichen Kindern wie deinem Bruder, verbunden mit seinen Erinnerungen – vielleicht seinen einzigen glücklichen Erinnerungen – an Dinge, die Martine und andere Kinder ihm früher beigebracht hatten, Verse, Märchen, Lieder. Und ich vermute, daß es mehr gab und gibt als nur die Märchenfiguren, daß andere erfundene Kinder entweder aus dieser Schutzzone des Andern hier entkamen oder aus irgendeinem Grund außerhalb davon erschaffen und niemals hereingeholt wurden. Sie sind über das ganze Otherlandnetzwerk versprengt – keine Menschen, aber auch keine Bestandteile des Systems.«
    »Paul Jonas nannte sie ›Waisen‹«, bemerkte Martine leise. »Aber er wußte nicht, was sie waren. Sein junger Freund Gally muß einer von ihnen gewesen sein.«
    »Waisen«, sagte Sellars. »Ein treffender Ausdruck, vor allem jetzt. Aber alle von ihnen basieren wenigstens zum Teil auf dem, was der Andere im Innenleben wirklicher Kinder fand. Deshalb besitzen einige von ihnen Erinnerungen, scheinen über ein Vorleben zu verfügen.«
    »Das heißt … meine Eirene ist gar nicht in diesem Netzwerk …?« Florimel sprach langsam, als erwachte sie gerade aus einem Traum. »Sie ist niemals darin gewesen?«
    »Richtig. Und ob die hypnotische Suggestionswirkung des Andern jetzt aufgehoben ist, kann ich auch nicht sagen.« Sellars schüttelte finster den Kopf. »Ich wünschte, ich könnte es. Wenn wir sehr großes Glück haben, Florimel, sind deine Tochter und die andern Tandagorekinder nur deswegen im Koma geblieben, weil der Andere sie reflexhaft in seinem mentalen Griff behielt, vielleicht sogar über direkten Kontakt – durch Krankenhausleitungen, Meßgeräte, wer weiß? Aber ich kann überhaupt nicht vorhersagen, was jetzt geschehen wird. Ich denke, auch wenn wir jahrelang daran herumforschen, würden wir den Andern doch nie ganz verstehen.«
    »Also wir wissen nicht, ob sie aufwachen werden?« Renie konnte nichts gegen die Bitterkeit in ihrer Stimme machen. »Nach alledem …!«
    »Nein, wir wissen es nicht.« Er sprach ruhig und eindringlich. »Aber vielleicht gibt es andere Möglichkeiten, wie wir ihnen helfen können. Vielleicht können die Erkenntnisse, die wir gewonnen haben, für eine Art Therapie nutzbar gemacht werden …«
    »O ja, Therapie!« Renie biß sich auf die Lippen, um nicht ins Schreien und Schimpfen zu geraten. !Xabbu legte den Arm um sie, und sie schloß die Augen. Sie hatte den Ort plötzlich satt, die Lichter, alles.
    Orlando brach das betroffene Schweigen. »Das alles erklärt mich nicht. Wieso bin ich hier? Wenn du super Hypnosefähigkeiten hast, kannst du vielleicht jemandem befehlen: ›Fall ins Koma!‹ oder ›Bild dir ein, du brennst, wenn du offline gehst!‹ und es klappt auch, aber du kannst nicht einem, der gestorben ist, befehlen: ›Sei nicht tot!‹ Tut mir leid, aber das würden sie nicht mal in ’nem Johnny-Icepick-Streifen bringen.«
    »Wir hatten noch keine Gelegenheit, miteinander zu reden, du und ich«, erwiderte Sellars, »aber ich denke, du ahnst die Antwort bereits, Orlando. Du hast einen virtuellen Geist bekommen, ganz ähnlich wie die Doubles, in denen die Gralsbrüder ewig leben wollten.« Er schaute sich kurz nach dem Nemesiswesen um, das immer noch irgendwelchen tiefen Betrachtungen nachzuhängen schien. »Und auch einen Körper wie den, der für Ricardo Klement bestimmt war, aber dann … anderweitig benutzt wurde. Doch deinen hat der Andere für dich gebaut, so wie er es auch für Paul Jonas tat. Möglicherweise hat er dich die ganze Zeit über, die du im System warst, einer Version des Gralsprozesses unterzogen,

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