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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
einen elektronischen Berg Ararat, wo meine Arche einen sicheren Hafen finden konnte, wenn ihr diesen plumpen Vergleich entschuldigt.«
    »Du hast das Netzwerk der Gralsbruderschaft dazu benutzt, deine elektronischen Lebensformen zu speichern?« fragte Nandi vom Kreis. Er wirkte eher bestürzt als wütend. »Wie konntest du so etwas Irrsinniges tun?«
    »Was erwartest du von einem, der sich einbildet, er könnte Gott spielen?« sagte Bonnie Mae Simpkins verachtungsvoll.
    »Ich habe die einzige Rechtfertigung angeführt, die es für mich gibt«, entgegnete Sellars. »Und ich gebe zu, daß sie dürftig ist. Ich hatte selbstverständlich keine Ahnung, was die Gralsbruderschaft war oder was sie im Schilde führte – es war kein Schild außen am Netzwerk dran: ›Nur für unmoralische Zwecke!‹ Und ich war zu der Zeit nicht richtig bei mir. Doch was als nächstes geschah, hatte eine ziemlich ernüchternde Wirkung auf mich.
    Denn als ich mich das nächste Mal vom Fortgang meines Experiments überzeugen wollte, war mein evolutionäres Treibhaus leer. Die Geschöpfe, falls ich Dinge ohne Körper so bezeichnen kann, Dinge, die nur als Zahlensymbole in einem komplexen mathematischen Modell existierten, waren verschwunden. Tatsächlich waren sie übernommen worden, aber das konnte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen.
    In meiner Panik rekonfigurierte ich meinen Garten, mein Netzwerk zur Informationssondierung, damit er mir alle etwaigen Anzeichen dafür meldete, daß die sich weiterentwickelnden Geschöpfe in das Weltnetz entwichen waren. Gleichzeitig begann ich mir die Besitzer des riesengroßen Asyls anzuschauen, in dem ich die Datengeschöpfe versteckt hatte, abgekapselt in einer kleinen Ecke, und aus dem sie entflohen waren … oder beseitigt worden waren. Von dem Punkt an entspricht die Geschichte, die ich euch damals in Bolívar Atascos Welt erzählte, der Wahrheit. Ich fand heraus, was die Gralsbruderschaft trieb, oder konnte es wenigstens vermuten. Ich erkannte, daß diese Leute ihr Netzwerk nicht deswegen geheimhielten und abschirmten, um sich vor Industriespionage zu schützen, sondern um eine viel größere, ganz unglaubliche Sache zu verbergen. Nach und nach wich die Hektik, mit der ich nach meinem verschollenen Experiment suchte, einem echten Grauen über die Aktivitäten der Bruderschaft, stets verbunden mit meiner speziellen Sorge, was derart skrupellose Leute mit meinen Schöpfungen anstellen konnten, und sei es nur zufällig. Den Rest der Geschichte kennt ihr. Zum großen Teil seid ihr der Rest der Geschichte.«
    »Und jetzt hast du uns hergebracht, damit wir hier große Augen machen?« sagte Nandi. Er deutete mit einer ungestümen Handbewegung auf die leuchtenden, zellenartigen Kammern in den Felswänden. »Denn dies hier sind zweifellos deine Schöpfungen. Ich kann mir denken, was geschah. Der Andere fand sie und nahm sie zu sich. Er zog sie groß, so wie er die Quasikinder großzog, die er sich gemacht hatte.« Er schüttelte angewidert den Kopf. Seine Stimme wurde etwas leiser, doch es lag eine Härte darin, die Renies Unbehagen noch steigerte. »Es tut nichts zur Sache, daß ein gräßliches Wesen sich so verhielt, weil es selbst gefoltert wurde. Wir können verstehen, aber nicht entschuldigen – ›Liebe den Sünder, aber hasse die Sünde‹, wie meine christlichen Brüder es, glaube ich, ausdrücken. Und selbst wenn dieser Greuel hier aus so etwas wie Liebe erschaffen wurde – obwohl das schwerlich auf dich zutrifft, Sellars –, wird er dadurch noch lange nicht gut und richtig. Diese … Kreaturen … sind genau das, was wir im Kreis seinerzeit wahrnahmen, die große Entweihung des Heiligen. Das ist mir jetzt klar. Du willst, daß wir staunen und Beifall klatschen, ich aber sage dir, daß sie zerstört werden müssen.«
    Zu Renies Überraschung widersprach Sellars ihm nicht. »Dein Standpunkt verdient gehört zu werden«, erklärte er. »Deshalb bist du hier. Wir müssen eine sehr schwere Entscheidung treffen – nein, ihr müßt eine sehr schwere Entscheidung treffen, ihr alle. Ich nicht. Ich habe mein Recht mitzuentscheiden verwirkt.«
    »Was soll das heißen?« wollte Bonnie Mae Simpkins wissen. »Verwirkt? Entscheiden? Was denn?«
    »Genau das, wovon Herr Paradivasch sprach«, sagte Sellars mit sichtlich gezwungener Höflichkeit. »Er hat richtig vermutet. Der Andere fand sie, übernahm sie, zog sie hier in seinem eigenen geheimen Schlupfwinkel groß. Und jetzt haben die Kinder des Andern in

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