Otherland 4: Meer des silbernen Lichts
nicht«, sagte Ramsey. »Von mir aus können wir gern eine Gruppenklage erheben. Aber wenn General Yacoubians Rolle dabei ans Licht kommt, sind die Chancen, euch völlig herauszuhalten, gering, glaube ich. Das wird die größte Sache seit dem Antarktikakrieg werden. Ach was, es wird größer werden – es hat eine riesige Rauchwolke über ganz Südostlouisiana gegeben, die Insel der J Corporation ist ein geschmolzener Klumpen inmitten eines nationalen Notstandsgebiets, und das ist nur ein kleines Stück des gottverdammten Puzzles.« Er sah Frau Sorensens Blick und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die Rückkehr zur Normalität war in vollem Gange, auch wenn sie es noch nicht merkte. »Entschuldige die derbe Ausdrucksweise. Aber es könnte durchaus sein, daß deinen Mann das Kriegsgericht erwartet. Ich bin sicher, daß wir mit Captain Parkins’ Aussage ohne größere Schwierigkeiten gewinnen werden …«
»Wir?« fragte Christabels Vater.
Ramsey stutzte, nickte. »Stimmt, ich werde wahrscheinlich in den nächsten Monaten … ziemlich viel zu tun haben. Aber ich denke, jeder ordentliche Militäranwalt wird das hinkriegen. Wir finden einen, wenn du nicht schon einen kennst.«
»Bitte, nehmt das Geld, Frau Sorensen«, sagte Sellars. »Kauft euch ein Haus außerhalb des Stützpunkts. Igelt euch ein bißchen ein. Diese Sache wird sich lange hinziehen. Ich bin sicher, ihr werdet einiges unternehmen müssen, um eure Privatsphäre zu schützen.«
»Ich will nicht vom Stützpunkt wegziehen«, versetzte sie bissig.
»Wie du willst. Aber nimm das Geld. Nimm es, um Christabel ein wenig Freiheit zu verschaffen.«
»Was ist mit dem Jungen?« fragte Ramsey. »Ich kann etwas arrangieren, wenn ihr mögt – bevor alles zu hektisch wird. Ich könnte eine gute Pflegefamilie für ihn finden …«
»Ich weiß nicht, was das jetzt wieder soll.« Kaylene Sorensen hatte nicht vor, sich bereden oder gängeln zu lassen. Ramsey vermutete, daß sie vor Gericht eine ausgezeichnete Zeugin abgeben würde. »Der Junge kommt nirgends hin. Ich habe nicht die ganze Zeit darauf geachtet, daß er sich wäscht und ordentliche Mahlzeiten bekommt, um ihn dann an andere Leute abzugeben, denen das vielleicht völlig gleichgültig ist. Er bleibt bei uns, der arme kleine Kerl.« Sie sah ihren Mann an. »Nicht wahr, Michael?«
Major Sorensen rang sich ein Lächeln ab. »Äh … klar. Sicher. Je mehr, desto besser.«
»Christabel«, sagte sie, an ihre Tochter gewandt, »geh und hol…« Sie runzelte die Stirn und richtete ihren Blick auf Sellars. »Wie heißt er eigentlich? Richtig?«
»Carlos, glaube ich.« Auch Sellars lächelte. »Aber soweit ich weiß, mag er den Namen nicht besonders.«
»Dann denken wir uns einen andern aus. Ich werde keinen Adoptivsohn haben, der Cho-Cho heißt. Das hört sich ja an wie ein Zug oder sowas.« Sie winkte ihrer Tochter auffordernd zu. »Auf, mein Schatz, geh ihn holen.«
Christabel sah sie fragend an. »Er wird bei uns wohnen?«
»Ja, das wird er. Er hat sonst niemand, wo er hingehen kann.«
Das kleine Mädchen dachte kurz darüber nach. »Okay«, sagte sie und trottete ins Nebenzimmer. Einen Moment später kam sie mit dem widerstrebenden Jungen an der Hand zurück. Er hatte seinen Anzug ausgezogen, doch dann hatte er anscheinend keinen Ersatz gefunden und war darum jetzt nur in T-Shirt und Unterhose.
»Du wirst mit uns leben«, teilte Kaylene Sorensen ihm mit. »Bist du damit einverstanden?«
Er sah sie an, als lugte er aus einem Loch heraus. Ramsey sah ihn schon im nächsten Moment aufspringen und weglaufen. »Mit euch leben?« fragte er. »En su casa, eh? In euer ’aus?«
»Ja.« Sie nickte nachdrücklich. »Sag du’s ihm, Mike.«
»Wir möchten, daß du mit uns lebst«, erklärte der Major. Bemerkenswerterweise hörte es sich ganz ehrlich an. »Wir möchten, daß du … zu unserer Familie gehörst.«
Der Junge blickte von einem zum anderen. »Schule geh ich nich«, sagte er.
»Mit Sicherheit gehst du zur Schule«, verkündete Kaylene Sorensen. »Und du wirst regelmäßig baden. Und zum Zahnarzt werden wir dich auch schicken.«
»Zahnarzt …?« Er guckte etwas verdattert. Eine Hand stahl sich zu seinem Mund. Dann veränderte sich sein Ausdruck. »Soll mit die Tussi leben?«
»Wenn du damit Christabel meinst, ja. Sie wird … deine Schwester sein, gewissermaßen.«
Wieder blickte er in die Runde, berechnend, immer noch mißtrauisch, aber auch wie erfüllt von einer vagen Ahnung, über die
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