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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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natürlich. Die machten ihr ein bißchen Angst. Sie wollte so sehr, daß es gutging mit ihnen, doch sie sah natürlich auch die vielen Probleme. Sie waren grundverschieden, zwischen ihnen lagen Welten. Die Nähe, die sie beide fühlten, hatte sich in der irrealsten Umgebung entwickelt, die man sich vorstellen konnte. Wie sollte das in einem Alltag bestehen, wo sie den Bus verpaßten und die Miete zusammenkratzen mußten, wo ihnen zahllose unglückliche Krankenhausbesuche bevorstanden?
    Die Tür ihres Vaters stand offen. Sie hatte mit ihm bis jetzt nur übers Netz gesprochen und wunderte sich deshalb, daß er ein Privatzimmer hatte. Wie sollten sie das bezahlen? Doch selbst wenn sie Schulden machen mußte, sie würde nicht zulassen, daß Del Ray sich als ihr Retter aufspielte.
    Sie zögerte auf der Schwelle. Aus Gründen, die sie nicht benennen konnte, hatte sie plötzlich Angst. Ihr Vater starrte mit leerem, gelangweiltem Blick auf den Wandbildschirm und bewegte die langen Finger, um von Knoten zu Knoten zu springen. Er ist so alt, dachte sie. Sieh ihn dir an! Er ist ein alter Mann. Sie holte tief Luft und trat ein.
    Als er sie sah, blinzelte er, dann blinzelte er noch einmal. Zu ihrem Erstaunen füllten sich seine Augen mit Tränen. »Was ist heute bloß los?« fragte sie betroffen. »Gibt es denn gar niemand mehr, der nicht weint?«
    »Renie«, sagte er. »Wie schön, dich zu sehen.«
    Sie hatte nicht vor zu weinen, nicht um diesen alten Knallkopf. Jeremiah Dako hatte ihr schon von seiner kleinen Extratour erzählt – wie er sich nach Durban verdrückt und den armen Kerl mit der ganzen Verantwortung allein gelassen hatte. Aber dann wurden ihre Augen doch feucht, so unangenehm es ihr war. Um es zu verbergen, beugte sie sich vor und küßte ihn auf die Backe. Er faßte ihre Hand und hielt sie fest, so daß sie an seinem kratzigen Gesicht bleiben mußte. Er roch nach Honig-Limone-Aftershave, und einen Moment lang war sie wieder Kind, überwältigt von seiner Größe, seiner Stärke. Ich bin aber kein Kind mehr. Durchaus nicht. Schon lange nicht mehr.
    »Tut mir so leid«, sagte er.
    »Leid?« Sie entwand sich ihm und setzte sich vorsichtig hin. »Wieso? Was tut dir leid?«
    »Alles.« Er winkte, und der Wandbildschirm wurde schwarz. »Der ganze Blödsinn, den ich gemacht hab.« Er fand ein Papiertaschentuch und schnaubte sich heftig die Nase. »Du erzählst mir doch immer, was ich für’n Blödsinn mach, Mädel. Jetzt sag bloß, du erinnerst dich nich mehr!«
    Etwas entkrampfte sich in ihr ein ganz klein wenig. »Ja. Ich erinnere mich. Aber wir machen alle Fehler, Papa.« Sie holte nervös Luft. »Zeig mir mal deinen Arm.«
    »Siehste? Der Hund hätt’n mir fast abgerissen. Dann würden sie mich jetzt One-Arm Joseph nennen.« Er zeigte ihr stolz die Bißverletzungen. »Den Hals wegbeißen wollt er mir auch. Kannste von Glück sagen, daß du sicher in deinem Tank warst.«
    »Ja, Papa. Sicher in meinem Tank.«
    Er hörte ihren Unterton, und sein zufriedenes Grinsen erlosch. »Mensch, weiß ich doch, daß es nich so war. Ich hab bloß’n Witz gemacht.«
    »Ich weiß, Papa.«
    »Warst du schon bei Stephen?«
    »Heute noch nicht. Nach dem Besuch bei dir geh ich zu ihm. Dann komm ich wieder und sag dir, ob … es eine Veränderung gibt.« Daß der kleine Körper ihres Bruders immer noch so welk und leer dalag, hatte ihr die Freude darüber, wieder im Leben zu sein, weitgehend vergällt.
    Joseph nickte langsam. Nach einem langen Schweigen fragte er: »Und dein Freund – dein Mann. Wo is der?«
    Renie unterdrückte den Ärger. Warum mußten Männer das ständig fragen? Als ob sie wissen müßten, unter wessen Schutz sie jetzt stand, um sicher zu sein, daß die Verantwortung an jemand halbwegs Akzeptablen übergegangen war. »Es geht ihm gut, Papa. Wir treffen uns später. Wir wollen uns nach ’ner Wohnung umschauen. Ich hab noch genug auf dem Konto. Es sieht so aus, als könnte ich sogar meine alte Stelle wiederbekommen. Ich hab im Büro der Rektorin angerufen, und anscheinend hat da jemand die Nachrichtennetze verfolgt.«
    Er nickte wieder, doch er hatte dabei einen merkwürdigen Ausdruck. »Also deswegen bin ich hier? Damit du ’ne Wohnung mit deinem neuen Mann finden kannst?«
    Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie verstand, was ihn drückte. »Du denkst …? Ach, Papa, ich hab dich nur hiergelassen, weil ich dich sonst nirgends hinbringen konnte. !Xabbu und ich haben gestern nacht im Empfangszimmer seiner alten

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