Outlaw - Child, L: Outlaw - Nothing to Lose (12 Reacher)
Fäusten ruhen lassen konnte. Anfangs sah er nichts. Vor ihm nur Dunkelheit und Stille sowie vereinzelt ein Lichtschein aus irgendeinem Fenster. Weiter in der Ferne entdeckte er mehr Lichter und spürte mehr Aktivität. Die Wohnbezirke südlich der Innenstadt, vermutete er. Häuser und Apartmentgebäude. Vielleicht auch eine Wohnwagensiedlung. Dort standen jetzt bestimmt Leute auf, um in die Arbeit zu fahren.
Zehn Minuten später machte er Autoscheinwerfer aus, die nach Norden unterwegs waren. Ihr Licht warf lange Schatten in seine Richtung. Er blieb, wo er war, und beobachtete weiter. Die Scheinwerfer machten an der Main Street halt und beschrieben dann einen weiten Bogen, als die Autos rechts abbogen. Weitere Fahrzeuge folgten. Bald waren auf allen Querstraßen beleuchtete Autoschlangen unterwegs, sodass man hätte glauben können, die Sonne gehe im Süden auf. Bei den Fahrzeugen handelte es sich um Limousinen und Pick-ups und ältere Geländewagen. Sie fuhren alle zur Main Street, wo sie sich in die endlose Fahrzeugschlange einreihten, die nach Westen unterwegs war, wo sich die von Vaughan erwähnte Anlage für Metallrecycling befand.
Eine Firmenstadt.
Sechs Uhr morgens.
Die Einwohner von Despair auf dem Weg zur Arbeit.
Reacher folgte ihnen vierhundert Meter weiter nördlich zu Fuß. Er stolperte zwischen niedrigem Buschwerk durch den verkrusteten Sand und schaffte vermutlich nicht mehr als drei Meilen in der Stunde. Die Autos dagegen fuhren dreißig. Trotzdem brauchten sie zehn Minuten, um an ihm vorbeizukommen. Sie bildeten einen langen Konvoi. Dann hatte der letzte Wagen Reacher passiert, und er verfolgte die Schlange aus roten Schlussleuchten mit seinem Blick. Etwa eine Meile weiter erhellte ein starkes Glühen den Horizont. Nicht der Tagesanbruch. Der würde sich hinter ihm im Osten ereignen. Das Glühen im Westen kam von Bogenlampen auf hohen Masten, die eine Art Arena auszuleuchten schienen. Reacher schätzte ihre Abmessungen auf eine mal eine halbe Meile. Die größte Anlage für Metallrecycling in ganz Colorado, hatte Vaughan gesagt.
Ohne Scheiß, dachte Reacher. Sieht wie die größte der Welt aus.
Manchmal trieben weiße Dampfschwaden und schmutzig-grauer Rauch durch den Lichtschein. Vor dem Werksgelände teilte die Fahrzeugschlange sich in Wagen, die links oder rechts abbiegend zu ihren Parkplätzen fuhren. Wegen des unebenen Bodens wippten und tanzten ihre Scheinwerfer, bis sie nacheinander ausgeschaltet wurden. Eine Viertelmeile vor und eine Viertelmeile nördlich des Fabriktors ging Reacher wieder in Deckung. Er verfolgte, wie Männer das Gelände betraten, mit Lunchboxen unter dem Arm in einer langen Schlange vorrückten. Der Durchlass war schmal: ein Personaleingang, kein Tor für Lkws. Reacher vermutete, das eigentliche Werkstor liege verkehrsgünstig zum Highway im Westen der Anlage.
Auch hinter ihm wurde der Himmel jetzt hell. Geländeformationen wurden sichtbar. Insgesamt war das Gebiet relativ flach, aber es wies genügend Buckel, Senken und Felsen auf, um ausreichend Deckung zu gewähren. Dazwischen standen immer wieder einzelne Büsche. Reizvoll war diese Landschaft nirgends. Hier gab es nichts, was Wanderer hätte anlocken können. Auch keine attraktiven Picknickplätze. Reacher ging davon aus, dass er den Tag allein verbringen würde.
Der letzte Arbeiter passierte die Kontrolle, dann wurde der Personaleingang geschlossen. Reacher bewegte sich weiter, beschrieb nach Norden und Westen ausholend einen weiten Bogen, blieb stets in Deckung und nutzte jeden erhöhten Aussichtspunkt. Die wirklich gigantische Recyclinganlage war von einem Zaun aus weiß gestrichenen Metallplatten umgeben. Oben wurde er durch ein nahtlos geschweißtes Metallrohr mit zwei Meter Durchmesser begrenzt. Unmöglich zu überklettern. Wie der Zaun eines Hochsicherheitsgefängnisses. Reachers erste Größenschätzung war zu konservativ gewesen. Die Recyclinganlage wirkte größer als die Kleinstadt. Wie der Schwanz, der mit dem Hund wedelt. Despair war keine Kleinstadt mit angeschlossener Fabrik. Es war eine Fabrik mit einer Schlafstadt vor ihren Toren.
Drinnen begann die Arbeit. Reacher hörte schwere Maschinen ächzen und Metall auf Metall scheppern; er sah Funken sprühen, wo mit Schneidbrennern gearbeitet wurde. Er marschierte bis zur Nordwestecke weiter, was gut eine Viertelstunde dauerte, und konnte von dort aus das Haupttor sehen. Ein Abschnitt des Metallzauns im Westen stand offen. Vom Horizont aus
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