Outlaw - Child, L: Outlaw - Nothing to Lose (12 Reacher)
ihn gesehen?«
Reacher schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er. »Ich habe ihn nicht gesehen.«
34
Die junge Frau verließ das Restaurant. Reacher folgte ihr mit dem Blick. Ein Angebot, sie auf dem Rückweg ins Motel zu begleiten, hätte missverstanden werden können, fürchtete er – als würde er es darauf anlegen, für seine hundert Dollar etwas Konkreteres zu bekommen als das befriedigende Gefühl nach einer guten Tat. Und ihr drohte ohnehin keine Gefahr. Hope schien ein ungefährliches Nest zu sein. Höchst unwahrscheinlich, dass sich finstere Gestalten auf den Straßen herumtrieben. Es war nach Mitternacht in einer stillen, anständigen Kleinstadt am Ende der Welt. Also ließ Reacher sie unbesorgt gehen, blieb allein an seinem Tisch sitzen, störte die Studentin bei ihrer Lektüre und ließ sich noch einen Kaffee bringen.
»So können Sie nie schlafen«, meinte sie.
»Wie oft kommt Officer Vaughan nachts vorbei?«, fragte er sie.
Die junge Frau lächelte so wie zuvor, als sie Man hört so manches gesagt hatte.
»Mindestens ein Mal«, antwortete sie und lächelte wieder.
Er sagte: »Sie ist verheiratet.«
Sie sagte: »Das weiß ich.« Sie nahm die Thermoskanne, kehrte zu ihrem Buch zurück und ließ Reacher vor einem dampfenden Becher sitzen. Er senkte den Kopf und atmete den Kaffeeduft ein. Als er wieder aufsah, fuhr draußen Vaughans Streifenwagen vorbei. Sie wurde langsamer, als registrierte sie, dass ihr Pick-up wieder da war. Doch sie hielt nicht an und rollte die Second Street entlang weiter.
Reacher verließ das Restaurant um ein Uhr morgens und ging ins Motel zurück. Die Kleinstadt lag weiter still im Mondschein. Die Rezeption des Motels war nur schwach beleuchtet. In keinem Zimmer brannte Licht. Er setzte sich in den Plastikliegestuhl vor seiner Tür, streckte die Beine aus, faltete die Hände hinter dem Kopf und horchte, mit weit offenen Augen in den Mondschein starrend, auf die Stille.
Das klappte nicht. Er konnte sich nicht entspannen.
So können Sie nie schlafen, hatte die Bedienung gesagt.
Aber daran ist nicht der Kaffee schuld, dachte er.
Er stand wieder auf und ging schnurstracks ins Restaurant zurück. Gäste waren keine da. Die Bedienung las ihr Buch. Reacher zog die Tür auf, trat an die Kasse und nahm Vaughans Autoschlüssel von der Theke. Die Bedienung schaute auf, sagte aber nichts. Reacher erwischte die Tür, bevor sie sich wieder schloss, und ging über den Gehsteig zu dem Pick-up. Sperrte auf, stieg ein, ließ den Motor an. Fuhr vom Randstein weg, bog zweimal links ab und war dann auf der First Street nach Westen unterwegs. Fünf Minuten später holperte er über die Dehnungsfuge und befand sich wieder in Despair.
Die ersten zwölf Meilen auf leerer Straße waren wie erwartet ereignislos. Auch in dieser Kleinstadt schienen alle zu schlafen. Ab der Tankstelle nahm Reacher das Gas zurück und rollte mit nur zwanzig Meilen in der Stunde weiter, während er sich gründlich umsah. Alle Gebäude entlang der Straße waren fest verschlossen und dunkel. Die Main Street lag still und verlassen vor ihm. Er bog nach links ins Labyrinth der Innenstadt ab. Dort fuhr er mal links, mal rechts und graste ein Dutzend Blocks ab, ohne irgendwo ein beleuchtetes Fenster oder eine offene Tür zu entdecken. Keine Autos auf der Straße, niemand auf den Gehsteigen. Die Polizeistation dunkel. Die Pension dunkel. Die Bar dunkel, ihr Scherengitter herabgelassen. Das Hotel lediglich eine kahle Fassade mit geschlossenem Eingang und einem Dutzend schwarzer Fenster. Die Kirche leer und still. Das grüne Erdungskabel des Blitzableiters im Mondschein grau.
Er fand eine Querstraße und fuhr nach Süden ins Wohnviertel. Auch dort Dunkelheit und Stille von einem Ende bis zum anderen. Kein Licht in Richter Gardners Haus. Nirgends Licht, nirgends ein Lebenszeichen. Auf den am Straßenrand geparkten Wagen schlug sich Nachttau nieder. Reacher fuhr weiter, bis der Asphalt in kaum erschlossenes Brachland überging. Dort wendete er, einen großen Kreis beschreibend, auf dem harten Sand, hielt an und hatte nun die ganze Stadt nördlich von sich. Der Mond übergoss sie mit Silberglanz. Sie schien geduckt dazuliegen: verlassen und unter dem hohen Himmel unbedeutend.
Reacher suchte sich einen Weg zur Main Street zurück. Bog dort links ab und fuhr in Richtung Recyclinganlage nach Westen weiter.
Das Werk war dunkel und nicht in Betrieb. Im Mondschein leuchtete sein Metallzaun gespenstisch weiß. Der Personaleingang
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