Outlaw - Child, L: Outlaw - Nothing to Lose (12 Reacher)
der mir früher mal geholfen hat. Und dem, der ihm mal geholfen hat. Und so weiter.«
»Waren Sie schon mal in Despair?«
»Viermal in den letzten zwei Tagen.«
»Haben Sie dort jemanden gesehen?«
»Ich habe viele Leute gesehen. Despair ist nicht gerade klein.«
Sie trat noch etwas näher, bis ihre Hüften die Tischkante berührten. Sie ließ eine billige Umhängetasche von der Schulter gleiten, stellte sie vor sich auf den Tisch und klappte den Deckel auf. Als sie den Kopf senkte, fiel ihr schwarzes Haar nach vorn und verdeckte ihr Gesicht. Ihre Hände waren klein und braun und ohne Ringe oder Nagellack. Sie wühlte einen Augenblick in ihrer Tasche herum, dann zog sie einen steifen, fast quadratischen Umschlag heraus, der vermutlich eine Glückwunschkarte enthalten hatte. Sie öffnete die Klappe und zog ein Foto heraus. Sie hielt es vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger, legte ihre kleine Hand auf den Tisch und veränderte den Winkel, sodass Reacher das Foto betrachten konnte.
»Haben Sie diesen Mann gesehen?«, fragte sie.
Auch dies war ein Standardabzug in der Größe zehn mal dreizehn Zentimeter von einem Fotoschnelldienst. Hochglanz, ohne Rand. Mit Fuji-Film aufgenommen, vermutete Reacher. Früher, als solche Dinge zur Beweissicherung wichtig gewesen waren, hatte er die meisten Filme an ihren Farbtönen erkennen können. Dieses Foto wies kräftige Grüntöne auf, die für Fuji typisch waren. Kodak-Filme betonten eher warme Farben. Die Kamera war ein anständiges Gerät mit einem richtigen Glasobjektiv gewesen. Die Aufnahme zeigte viele Details. Die Schärfe war nicht ganz perfekt. Die Blendenwahl war automatisch erfolgt. Die Tiefenschärfe hätte besser sein können. Eine alte SLR, vermutete Reacher, also aus zweiter Hand gekauft oder von einem älteren Menschen geliehen. Für herkömmliche Kameras gab es keinen Markt mehr, weil jeder nur noch digital knipste. Das Foto, das die junge Frau ihm hinhielt, war offenbar ziemlich neu, aber es schien aus viel früherer Zeit zu stammen. Diese nette, aber durchschnittliche Amateuraufnahme war mit einer alten SLR mit Fuji-Film gemacht worden.
Er nahm der jungen Frau das Bild aus der Hand, um es näher zu betrachten. Die leuchtenden Grüntöne stammten von der Rasenfläche im Hintergrund und einem T-Shirt im Vordergrund. Der Rasen sah aus, als wäre er angesät, bewässert und frisch gemäht worden, wie in irgendeinem öffentlichen Park. Das T-Shirt war ein billiges Ding, das ein hagerer junger Mann von neunzehn oder zwanzig Jahren trug. Die Aufnahmerichtung ging schräg nach oben, als wäre das Foto von einer weit kleineren Person aufgenommen worden. Der Kerl posierte sehr steif und förmlich. Seine Haltung wirkte nicht im Geringsten locker. Vielleicht hatte langes Herumfummeln an der Kamera bewirkt, dass er zu lange in dieser Stellung hatte verharren müssen. Sein Lächeln war ungezwungen, aber ein bisschen starr. Er hatte weiße Zähne und ein braunes Gesicht. Er sah jung und freundlich, liebenswürdig und völlig harmlos aus.
Eigentlich nicht hager, eher schlank und drahtig.
Nicht groß, nicht klein, sondern durchschnittlich groß.
Einen Meter fünfundsiebzig groß.
Ungefähr fünfundsechzig Kilo schwer.
Er war Hispanier, unter dessen Vorfahren sich mehr Mayas und Azteken als Spanier befanden. Hatte reichlich Indioblut in den Adern. Das war klar. Sein glänzendes schwarzes Haar war leicht zerzaust, weder kurz noch lang. Schätzungsweise vier bis fünf Zentimeter, mit deutlicher Tendenz, sich zu wellen.
Er hatte markante Backenknochen.
Er war lässig, aber nicht nachlässig gekleidet.
Er hatte sich nicht rasiert.
Kinn und Oberlippe wiesen schwarze Bartstoppeln auf.
Weniger auf seinen Wangen und unter dem Kinn.
Jung.
Nicht viel älter als ein Jugendlicher.
Die junge Frau fragte: »Haben Sie ihn gesehen?«
Reacher fragte: »Wie heißen Sie?«
»Wie ich heiße?«
»Ja.«
»Maria.«
»Und wie heißt er?«
»Raphael Ramirez.«
»Ist er Ihr Freund?«
»Ja.«
»Wie alt ist er?«
»Zwanzig.«
»Haben Sie dieses Foto gemacht?«
»Ja.«
»In einem Park in San Diego?«
»Ja.«
»Mit der Kamera Ihres Vaters?«
»Meines Onkels«, erwiderte die junge Frau. »Woher wissen Sie das?«
Reacher gab keine Antwort. Er sah sich nochmals Raphael Ramirez auf dem Foto an. Marias Freund. Zwanzig Jahre alt. Einen Meter fünfundsiebzig, fünfundsechzig Kilo. Der Körperbau. Das Haar, die Backenknochen, der Stoppelbart.
Die junge Frau fragte: »Haben Sie
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