Outlaw - Child, L: Outlaw - Nothing to Lose (12 Reacher)
der State Police.
Vaughan hatte gefragt: Sehe ich nicht verheiratet aus?
Nein, dachte Reacher. Nicht im Geringsten. Nicht wie manche Leute.
Er fand eine mit Bäumen bestandene Querstraße und lief nach Norden zur Second Street zurück. Ein Blick nach Westen zeigte ihm, dass Vaughans Pick-up noch dort stand, wo er ihn geparkt hatte. Das aus dem Schnellrestaurant fallende Licht beleuchtete ihn hell. Reacher ging einen Block weiter und erreichte die First Street. Der Himmel war wolkenlos. Heller Mondschein. Rechts von ihm breitete sich eine silbern glänzende Ebene aus, die sich bis nach Kansas erstreckte. Links von ihm erkannte man schwach die Rockys: schemenhaft blau und massig, die Schneerinnen ihrer Nordflanke wie geisterhaft schimmernde Klingen, die Gipfel unendlich hoch. Die Stadt hinter ihm lag still und schweigend da. Schon um diese Zeit – gut eine halbe Stunde vor Mitternacht – wirkte sie wie ausgestorben. Kein Verkehr. Keinerlei Aktivitäten.
Reacher litt nicht an Schlaflosigkeit, aber er hatte keine Lust, schon ins Bett zu gehen. Zu früh. Zu viele Fragen offen. Also folgte er einen Block weit der First Street und bog zum Schnellrestaurant nach Süden ab. Er war auch kein sehr geselliger Mensch, aber im Augenblick wollte er Leute um sich haben und rechnete sich aus, dass er nur dort welche antreffen würde.
Er traf vier an. Die Bedienung, die vermutlich eine Studentin war, einen alten Mann mit einer Strickmütze, der allein an der Theke aß, einen Kerl in mittleren Jahren, der auf dem Tisch vor sich Traktorenkataloge ausgebreitet hatte, und eine verängstigt wirkende junge Hispanierin, die nichts vor sich stehen hatte.
Dunkelhaarig, nicht blond, hatte Vaughan gesagt . Sitzt herum und starrt nach Westen, als wartete sie auf eine Nachricht aus Despair.
Sie war klein und zierlich, nicht älter als achtzehn oder neunzehn. Sie hatte lange rabenschwarze Haare, die ein apartes Gesicht mit hoher Stirn und großen braunen Augen umrahmten. Darunter befanden sich eine schmale Nase und ein kleiner Mund mit vollen Lippen. Reacher vermutete, dass sie ein hübsches Lachen hatte, das sie aber nicht oft zeigte – bestimmt seit Wochen nicht mehr. Ihr Teint war mittelbraun, ihre Haltung wie erstarrt. Ihre Hände konnte man nicht sehen, aber Reacher war sich sicher, dass sie auf ihrem Schoß gefaltet lagen. Zu einer Thermojacke der San Diego Padres trug sie ein blaues T-Shirt mit Rundausschnitt. Vor ihr auf dem Tisch stand nichts. Kein Teller, kein Glas, keine Tasse. Aber sie war nicht gerade erst angekommen. Ihre Haltung ließ darauf schließen, dass sie mindestens schon zehn Minuten oder eine Viertelstunde dort saß. Niemand konnte in kürzerer Zeit in solche Starre versinken.
Reacher blieb neben der Kasse stehen, und die junge Bedienung kam auf ihn zu. Er neigte leicht den Kopf – eine universale Geste, die besagte: Ich möchte unauffällig mit Ihnen reden. Die Bedienung trat etwas näher heran und neigte wie eine Mitverschwörerin ebenfalls den Kopf.
»Die junge Frau«, fragte Reacher leise. »Hat sie etwas bestellt?«
Die Bedienung flüsterte: »Sie hat kein Geld.«
»Fragen Sie sie, was sie möchte. Ich bezahle für sie.«
Er durchquerte das Lokal und wählte einen Platz, von dem aus er die junge Frau unauffällig beobachten konnte. Er verfolgte, wie die Bedienung an ihren Tisch trat, und sah Verständnislosigkeit auf ihrem Gesicht, dann Zweifel, dann Ablehnung. Die Bedienung kam zu ihm und flüsterte: »Sie sagt, dass sie das unmöglich annehmen kann.«
Reacher entgegnete: »Gehen Sie noch mal hin, und sagen Sie ihr, dass ich keine Hintergedanken habe. Dass ich mich nicht an sie ranmachen will, dass ich nicht mal mit ihr reden will. Sagen Sie ihr, dass ich auch schon mal abgebrannt und hungrig war.«
Die Bedienung ging wieder zu der jungen Frau. Diesmal ließ sie sich umstimmen. Sie deutete auf zwei Positionen der Speisekarte. Reacher war davon überzeugt, dass sie die billigsten Gerichte wählte. Als die Bedienung sich entfernte, um ihre Bestellung aufzugeben, drehte die junge Frau sich etwas zur Seite und bedachte Reacher mit einem höflichen leichten Nicken, bei dem ihre Mundwinkel sich zu einem angedeuteten Lächeln hoben. Dann wandte sie sich wieder ab und saß still da wie zuvor.
Als Reacher bei der Bedienung Kaffee bestellte, flüsterte sie: »Macht eins fünfzig – und ihre Bestellung neun Dollar fünfzig.« Reacher zog einen Zehner und drei Dollarscheine von der Rolle in seiner Hosentasche
Weitere Kostenlose Bücher