Owen Meany
Einzelheiten, daß sie Daisy Buchanan und Myrtle Wilson
miteinander verwechselte. Ich merkte an, Ehefrau und Geliebte zu verwechseln
sei ja nun schon ein recht gewichtiger Fauxpas und kein bloßer Versprecher
mehr. Ich denke, Claire Clooney ist viel zu intelligent für einen Fehler dieser
Tragweite; sie hatte gestern sicher noch nicht über Kapitel I hinaus gelesen; und heute – schließe ich aus ihrem
Versuch, mich mit den Zeitungsnachrichten vom Thema abzubringen – war sie mit
Kapitel 4 noch nicht zu Ende.
»Hier ist noch einer, Mr. Wheelwright«, setzte Claire Clooney ihre
gnadenlose Attacke auf The Globe and Mail fort. »Der
ist fast genauso fürchterlich wie der andere«, meinte sie. »Hören Sie mal:
›Präsident Reagan bestritt gestern, daß er Drittländer um Hilfe für die
Rebellen gebeten hatte, wie Präsidentenberater McFarlane am Montag gesagt
hatte.‹ Das ist ein richtiger Hammer, nicht wahr?« fragte mich Claire Clooney.
»Toll, dieses ›wie Präsidentenberater McFarlane gesagt hatte‹ – das ist wie an
den Satz hinten drangeklebt!« rief sie aus.
»Ist es wie hinten drangeklebt oder ist es
hinten drangeklebt?« fragte ich sie. Sie lächelte mich an; die anderen Mädchen
kicherten. Sie würden mich nicht dazu kriegen, eine ganze Unterrichtsstunde an
Ronald Reagan zu verschwenden. Aber ich mußte meine Hände – oder besser: meine
Fäuste – unter dem Tisch verstecken. Das Weiße Haus, diese Verbrecherbande,
diese arroganten Hohlköpfe, die meinen, für sie würden die Gesetze nicht gelten –, sie besudeln die Demokratie mit der Behauptung, sie täten alles, was sie
tun, für die Demokratie! Die gehören alle ins
Gefängnis! Die gehören alle nach Hollywood !
[451] Ich weiß, daß ein paar von den
Mädchen ihren Eltern erzählt haben, ich würde vor ihnen »Tiraden« gegen die
Vereinigten Staaten ablassen; einige Eltern haben sich bei der Schulleiterin
beschwert, und Katherine hat mir ans Herz gelegt, meine politischen Ansichten
nicht im Unterricht zu verkünden – »oder sagen Sie zumindest etwas über Kanada; unsere Mädchen sind doch Kanadierinnen, zum
größten Teil.«
»Ich weiß aber nichts von Kanada«, entgegnete ich.
»Ja ja, ich weiß«, meinte Rev. Mrs. Keeling lachend; sie ist immer
freundlich, selbst wenn sie mich auf den Arm nimmt, aber irgendwie trifft mich
ihre Bemerkung doch – schon allein deshalb, weil sie die gleiche Kritik
enthält, die Canon Mackie unablässig an mir übt. Kurz gesagt: Jetzt bist du
schon zwanzig Jahre bei uns; wann wirst du endlich anfangen, dich für uns zu interessieren?
In meiner Oberstufenklasse erklärte Frances Noyes: » Ich glaube, daß er lügt.« Sie meinte natürlich Präsident
Reagan.
»Sie sollten Anklage gegen ihn erheben. Warum können sie das nicht?«
fragte Debby LaRocca. »Wenn er lügt, sollten sie ein Impeachment einleiten.
Wenn er aber nicht lügt – wenn all diese Clowns für ihn die Regierungsgeschäfte
erledigen –, dann ist er zu dumm, um Präsident zu sein. Auf jeden Fall sollten
sie ein Impeachment einleiten. In Kanada würde man einen Mißtrauensantrag
stellen, und weg wäre er!«
Sandra Darcy meinte: »Jawohl.«
»Was meinen Sie, Mr. Wheelwright?« fragte mich Adrienne Hewlett mit
honigsüßer Stimme.
»Ich meine, daß einige von euch Kapitel 4 nicht zu Ende gelesen
haben«, erklärte ich. »Was bedeutet es, daß Gatsby befreit war ›von dem Nimbus
sinnloser Prachtentfaltung‹ – was bedeutet das?« fragte ich sie.
Wenigstens Ruby Newell hatte ihre Hausaufgaben gemacht. »Das
bedeutet, daß Gatsby das Haus gekauft hat, damit Daisy nicht mehr so weit weg
ist, sondern gleich auf der anderen Seite der [452] Bucht – daß er alle Parties, die er gibt… daß er sie irgendwie für sie gibt. Es
bedeutet, daß er nicht einfach nur verrückt ist – daß er das ganze Geld, das er
verdient hat und das er ausgibt, daß er das alles nur für sie tut! Nur damit sie auf ihn aufmerksam wird!« erklärte Ruby.
»Mir gefällt die Stelle mit dem Mann, der den Ausgang der World
Series bestimmt hat!« rief Debby LaRocca.
»Meyer Wolfshears!«
warf Claire Clooney ein.
»-sheim«, korrigierte ich nachsichtig. »Meyer Wolfsheim.«
»Jawohl!« meinte Sandra Darcy.
»Ich find es gut, wie er vornehm ›Oggsford‹ sagt statt Oxford«,
sagte Debby LaRocca.
»Wie er denkt, Gatsby wäre ein ›Oggsfordman‹«, meinte Frances Noyes.
»Ich finde, der Typ, der das Ganze erzählt, ist ein Snob«, sagte
Adrienne
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