Owen Meany
Gemeinde, die alles daran setzt, sich nicht zur
Vorstadt von Chicago degradieren zu lassen – doch das mag unfair sein; ich bin
nie dort gewesen. Etliche Schüler der Gravesend Academy kamen von dort, und
unisono stöhnten sie auf, als Randolph Whites Berufung zum Schulleiter der
Gravesend Academy bekanntgegeben wurde; offensichtlich schien ihnen der
Gedanke, daß jemand aus Lake Forest ihnen nach New Hampshire gefolgt war, Magenschmerzen
zu verursachen.
Zu der Zeit kannten Owen und ich einen Jungen aus Bloomfield Hills,
Michigan, und der erzählte uns, daß Bloomfield Hills für Detroit war, was Lake
Forest für Chicago war – Bloomfield Hills war – seiner Meinung nach – »das Letzte«;
er erzählte uns eine Geschichte über Bloomfield Hills als Beispiel – es ging um
eine farbige Familie, die dorthin gezogen war, und sie mußte ihr Haus wieder
verkaufen und wegziehen, weil die Nachbarn auf ihrer Wiese ständig Kreuze
verbrannten. Das schockierte Owen und mich; in New Hampshire dachten wir, so
etwas passiere nur in den Südstaaten – doch ein farbiger Junge aus Atlanta
klärte uns auf, daß wir »einen Scheißdreck« über dieses Problem wußten; überall
im Land steckten sie Kreuze an, erzählte uns der farbige Junge, und wir würden
ja an der Gravesend Academy auch nicht direkt [444] von
»einer Flut schwarzer Gesichter« überschwemmt, oder? Nein, gaben Owen und ich
zu, das würden wir nicht.
Dann erzählte uns ein anderer Junge aus Michigan, daß Grosse Pointe
eher für Detroit sei was Lake Forest für Chicago war – daß Bloomfield Hills
kein passender Vergleich sei – und noch ein anderer Junge meinte, eher sei
Shaker Heights für Cleveland, was Lake Forest für Chicago sei… und so weiter.
Owen und ich kannten uns nicht besonders gut aus, wo sich die Superreichen und
Superexklusiven in unserem Land befanden; als uns ein jüdischer Junge aus
Highland Park, Illinois, erzählte, daß Juden an der Schule in Lake Forest
»nicht angenommen« würden, begannen Owen und ich uns zu fragen, von was für
einer seltsamen Privatschule in Lake Forest unser neuer Direktor wohl kam.
Owen hatte einen weiteren Grund, Randolph White gegenüber
mißtrauisch zu sein. Von allen Bewerbern, die während unseres zweiten Jahres an
der Academy durch die Schule geschleift worden waren, hatte nur Randolph White
die Einladung zu einer PRIVATAUDIENZ bei der ›Stimme‹
abgelehnt. Owen war Mr. White vor Archie Thorndikes Büro begegnet; Thorny hatte
der ›Stimme‹ den Bewerber vorgestellt und diesem gesagt, er würde, wie immer,
sein Büro für eine kurze Unterredung räumen.
»Was soll denn das?« fragte Randolph White. »Ich dachte, ich hätte
schon mit den Schülern gesprochen.«
»Nun«, meinte der alte Thorny, »Owen ist, wie Sie wissen, ›Die
Stimme‹ – Sie kennen doch unsere Schülerzeitung, The Grave ?«
»Ich weiß, wen ich vor mir habe«, sagte Mr. White; er hatte Owens
ausgestreckte Hand noch immer nicht ergriffen. »Warum war er nicht dabei, als
ich mit den anderen Schülern gesprochen habe?«
»Das war der Schülerausschuß«, erklärte Archie Thorndike. »Owen hat
sich eine ›Privataudienz‹ ausgebeten…«
»Abgelehnt«, sagte Randolph White und schüttelte schließlich Owens
kleine Hand. »Ich möchte viel Zeit haben, um mit den [445] Fachgruppenleitern
zu diskutieren«, erklärte Mr. White; Owen rieb sich die Finger, die vom
Händedruck des Bewerbers schmerzten.
Der alte Thorny versuchte, die Katastrophe zu verhindern. »Owen ist
fast so etwas wie ein Fachgruppenleiter«, meinte er fröhlich.
»Die Meinung der Schüler kann doch wohl kaum als Fachgruppe
betrachtet werden, oder?« fragte Mr. White Owen, der sprachlos war. White war
ein kompakter, sportlicher Mann, der aggressiv und erbarmungslos Squash spielte – täglich. Seine Frau nannte ihn »Randy«; er nannte sie »Sam« – von Samantha.
Sie kam aus einer reichen »Fleischfamilie« aus der Gegend um Chicago; auch
seine Familie war im Fleischgeschäft – obwohl es hieß, in dem Fleisch, aus dem
sie kam, stecke mehr Geld. Eine der weniger wohlwollenden Zeitungen Chicagos
beschrieb ihre Hochzeit als »Fleischehe«. Owen erinnerte sich daran, daß in der
Akte über den Bewerber stand, White habe sich durch »revolutionäre Verpackungs-
und Liefertechniken für Fleischprodukte« hervorgetan; vor nicht allzu langer
Zeit hatte er dem Fleisch zugunsten der Pädagogik den Rücken gekehrt – als
seine eigenen Kinder (seiner
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