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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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WIR NOCH
MAL DEN SCHUSS«, sagte Owen immer; so nannten wir es – »den
Schuß«. Wir übten und übten und übten. Er packte den Ball mit beiden Händen und
sprang in meine Arme (wandte aber niemals die Augen vom Korbring); manchmal
drehte er sich in der Luft und schleuderte den Ball rückwärts in den Korb – manchmal stopfte er ihn mit einer Hand hinein. Ich drehte mich immer
rechtzeitig herum, um zu sehen, wie der Ball durchs Netz rutschte und Owen sich
wieder erdwärts bewegte – seine Hände waren noch über dem Ring, aber sein Kopf
befand sich schon unterhalb des Netzes, mit den Füßen strampelte er in der
Luft. Er landete immer sehr geschickt.
    Manchmal überredeten wir den alten Hausmeister dazu, uns mit der
Spielzeituhr zu stoppen. »STELLEN SIE SIE AUF ACHT SEKUNDEN«, wies Owen ihn an. Während des Sommers schafften wir »den Schuß« zweimal in
weniger als fünf Sekunden. »STELLEN SIE SIE AUF VIER«, sagte Owen, und wir übten weiter; es unter vier Sekunden zu schaffen, war
schwer. Wenn ich keine Lust mehr hatte, zitierte Owen mir aus Robert Frosts
Gedichten.
    Die Wehrpässe in unseren Brieftaschen schienen kein Gewicht zu
haben; wir warfen nie einen Blick darauf. Erst im Herbst 1960 – als Direktor
White das Steuer übernahm – entdeckten die Schüler der Gravesend Academy eine
reizvolle Verwendungsmöglichkeit für die Wehrpässe. Natürlich machte Owen diese
Entdeckung. Er war im Büro der Schülerzeitung und probierte mit dem nagelneuen
Kopiergerät herum; er stellte fest, daß er seinen Wehrpaß kopieren konnte – dann kam er auf eine Methode, einen Blankopaß herzustellen, ohne Namen und
Geburtsdatum. In New Hampshire wurde Alkohol erst an Leute ab einundzwanzig
ausgeschenkt; obwohl Owen selbst nicht trank, wußte er, daß es eine Menge
Schüler an der Academy gab, die sich sternhagelvoll laufen ließen –, und keiner
von denen war einundzwanzig.
    Er verlangte zwanzig Dollar pro Wehrpaß. »DAS IST DIE
MAGISCHE ZAHL«, sagte er. »DENK DIR
    EINFACH EIN GEBURTSDATUM [458]  AUS. ERZÄHL
KEINEM, WOHER DU DAS DING HAST. WENN DU ERWISCHT WIRST – ICH WEISS VON NICHTS.«
    Das war das erste Mal, daß er das Gesetz brach – wenn man von der
Geschichte mit den Kaulquappen und Kröten und Maria Magdalena in ihrem Tor
absieht.
    Toronto, 14.   Mai 1987 – wieder ein sonniger Morgen, aber es
könnte noch regnen heute.
    Präsident Reagan fährt jetzt die Schiene, daß er stolz ist auf jede
Anstrengung, die er für die Contras unternommen hat; er bezeichnet sie als »das
moralische Äquivalent unserer Gründerväter«. Der Präsident bestätigte, er habe
mit König Fahd von Saudi-Arabien über finanzielle Hilfe »gesprochen«; vor zwei
Tagen hat er noch etwas anderes erzählt. The Globe and Mail meldete, König Fahd habe »das Thema angeschnitten«; spielt es denn eine Rolle,
wer damit angefangen hat? »Mein Tagebuch zeigt, daß nicht ich dieses Thema
angeschnitten habe«, erklärte der Präsident. »Ich habe es allerdings begrüßt,
daß er es tat.« Ich hätte nie gedacht, daß Präsident Reagan irgend etwas tun
könnte, das mir das Gefühl gibt, ihm nahezustehen; aber er führt ebenfalls
Tagebuch!
    Owen hat Tagebuch geführt.
    Der erste Eintrag lautet wie folgt: »DIESES
    TAGEBUCH HAT MIR MEINE GÖNNERIN, MRS. HARRIET
     WHEELWRIGHT, AN WEIHNACHTEN I960 GESCHENKT; ICH HABE FEST VOR, MRS. WHEELWRIGHT
STOLZ AUF MICH ZU MACHEN.«
    Ich denke nicht, daß Dan Needham und ich damals glaubten, meine
Großmutter sei Owens GÖNNERIN, obwohl sie genau das wurde;
doch an jenem Weihnachtsfest 1960 hatten Dan und ich – und Großmutter – Grund,
besonders stolz auf Owen zu sein. Im Herbst hatte er viel zu tun gehabt.
    Randy White, unser neuer Schulleiter, hatte ebenfalls viel zu tun
gehabt; er hatte Entscheidungen getroffen, über alles, was [459]  anfiel, und ›Die Stimme‹ hatte keinen einzigen
schulleiterischen Schritt kritiklos hingenommen. Die erste Entscheidung hatte
eigentlich Mrs. White getroffen, ihr gefiel das alte
Haus, in dem die Thorndikes gewohnt hatten, nicht – es war traditionsgemäß das
Haus des Direktors, schon drei hatten darin gelebt (zwei davon waren dort
gestorben; der alte Thorny war nach seiner Pensionierung in seine frühere
Sommerresidenz nach Rye gezogen, wo er von nun an das ganze Jahr verbringen
wollte). Doch das traditionelle Haus entsprach nicht dem Standard von Lake
Forest, den die Whites gewohnt waren; es war ein guterhaltenes, altes Haus in
der Pine Street, aber es

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