Owen Meany
Informationen haben will oder muß.
Der jüngsten Meinungsumfrage der New York Times zufolge sind die meisten Amerikaner der Ansicht, daß Präsident Reagan lügt; man
sollte sie vielleicht mal fragen, ob es sie stört.
Ich schrieb Katherine und fragte an, wann sie mich einmal auf ihre
Insel einladen würde. »Wann werden Sie mich vor meinen schlechten Gewohnheiten
erretten?« erkundigte ich mich. Ich frage mich, ob man in Pointe au Baril
Station die New York Times kaufen kann; hoffentlich
nicht.
Larrys Mutter, Mitzy Lish, hatte honigfarbenes, etwas klebrig
wirkendes, hochtoupiertes Haar, und ihr Teint gewann deutlich durch
Sonnenbräune; in den Wintermonaten, wenn sie nicht gerade von ihrer
alljährlichen Pilgerfahrt nach Round Hill, Jamaika, zurückkam, war sie
käsebleich. Da ihre Haut bei extremer Kälte fleckig wurde, was ihren Teint
nicht direkt verschönerte, und da ihr überreichlicher Nikotingenuß bereits
Durchblutungsprobleme hervorgerufen hatte, trug ein Wochenende zum Skilaufen in
Neuengland nicht eben dazu bei, Mrs. Lishs Aussehen oder ihre Laune zu
verbessern – selbst wenn es galt, beim Wettstreit um die Zuneigung ihres Sohnes
ein paar Pluspunkte zu sammeln. Dennoch war es unmöglich, sie nicht als eine
attraktive »nicht mehr ganz junge« Frau anzusehen; Mitzy Lish genügte zwar
nicht ganz den Ansprüchen von Präsident Kennedy, war jedoch eine Schönheit im
Vergleich zu allem, was Owen und ich bisher kennengelernt hatten.
[519] Hesters frühreifer ›erotischer‹
Ausstrahlung zum Beispiel waren ihre Schlampigkeit und ihr Alkoholkonsum nicht
gerade förderlich; obwohl Mrs. Lish Kette rauchte und ihr bernsteinfarbenes
Haar gefärbt war (denn man konnte an den Haarwurzeln sehen, daß sie langsam
ergraute), wirkte sie erotischer.
Für New Hampshire trug sie zuviel Geschmeide; in New York kam das
sicherlich gut an – doch ihre Kleider, ihre Juwelen und ihre Frisur paßten eher
zu den Hotels und Städten, in denen »Abendkleidung« Standard war. In Gravesend
fiel sie auf; und es ist nur schwer vorstellbar, daß es eine kleine Skihütte in
New Hampshire oder Vermont gab, in der es ihr gefallen hätte. Ihr genügte es
nicht, ein eigenes Badezimmer zu haben; sie war eine Frau, die Zimmerservice
brauchte – die ihre erste Zigarette und den Kaffee und ihre New York Times noch vor dem Aufstehen haben wollte. Und dann brauchte
sie genügend Licht und einen ordentlichen Schminkspiegel, vor dem sie dann
beträchtliche Zeit zubrachte; wenn sie sich beeilen mußte, wurde sie bissig.
In New York verbrachte sie die Zeit bis zum Mittagessen mit Rauchen,
Kaffeetrinken und Zeitunglesen – und der langwierigen, herausfordernden
Aufgabe, sich schön zu machen. Sie war von Natur aus ungeduldig; nie jedoch
beim Schminken. Dann das Mittagessen mit einer befreundeten Klatschtante; oder,
in der Zeit nach der Scheidung, mit ihrem Anwalt oder einem potentiellen
Liebhaber. Nachmittags ging sie zum Friseur oder zum Shopping; zumindest kaufte
sie sich ein paar neue Zeitschriften oder sah sich einen Film an. Manchmal traf
sie sich später mit jemandem auf einen Drink. Sie besaß all die neuesten
Informationen, die unter den Leuten, die sich täglich ausführlich der Lektüre
der New York Times widmen, als intelligent gelten – und natürlich kannte sie auch immer den neuesten Gesellschaftsklatsch – und sie
hatte massenhaft Zeit, sich mit all diesen Neuigkeiten zu befassen. Sie hatte
nie gearbeitet.
Sie brauchte auch ziemlich viel Zeit für ihr abendliches Bad, und [520] dann mußte sie sich wieder schön machen; sie
konnte es nicht leiden, wenn sie vor acht Uhr irgendwo zum Abendessen
erscheinen mußte – doch noch weniger konnte sie es leiden, wenn sie nirgendwo zum Abendessen erscheinen mußte. Sie kochte
nicht – nicht mal ein Ei. Sie war zu faul, sich einen richtigen Kaffee zu
machen; das Instantgebräu paßte auch gut zu ihren Zigaretten und der Zeitung.
Gut möglich, daß sie später eine eifrige Konsumentin dieser zucker- und
alkoholfreien Diätgetränke wurde – denn sie war besessen von dem Gedanken,
abzunehmen (nur durfte das nicht mit körperlicher Anstrengung verbunden sein).
Für die Schwierigkeiten mit ihrem Teint machte sie ihren Exgatten
verantwortlich, mit dem das Zusammenleben sehr stressig gewesen war; und die
Scheidung hatte sie aus Kalifornien herausgerissen – wo sie die Wintermonate am
liebsten verbracht hatte, ihrer Haut zuliebe. Sie behauptete steif und fest,
ihre Poren seien in
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