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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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kurz nach seinem
aufgeregten Optimismus nach der Antrittsrede Kennedys, und nicht sehr lange
nachdem er sich bei meiner Großmutter für dieses Geschenk bedankt und seine
Absicht kundgetan hatte, sie stolz auf ihn zu machen. Dieser Eintrag erscheint
mir wichtig; er ist mit dem 1.   Januar 1962 datiert und lautet wie folgt:
    ICH WEISS DREI DINGE. ICH WEISS, DASS SICH MEINE
STIMME NICHT VERÄNDERN WIRD, UND ICH WEISS, WANN ICH STERBEN WERDE. ICH
WÜNSCHTE, ICH WÜSSTE, WARUM SICH MEINE STIMME NICHT VERÄNDERN WIRD, ICH
WÜNSCHTE, ICH WÜSSTE, WIE ICH STERBEN WERDE; DOCH GOTT HAT ES MIR GEGEBEN, MEHR
ZU WISSEN ALS DIE MEISTEN MENSCHEN – ALSO WILL ICH MICH NICHT BEKLAGEN. DAS
DRITTE, WAS ICH WEISS, IST, DASS ICH DAS WERKZEUG GOTTES BIN; ICH BIN DAVON
ÜBERZEUGT, DASS GOTT MICH WISSEN LASSEN WIRD, WAS ICH ZU TUN HABE, UND WANN ICH
ES ZU TUN HABE. EIN FROHES NEUES JAHR!
    Das war in dem Januar, als wir die letzte Klasse der Gravesend
Academy besuchten; hätte ich damals verstanden, daß er auf fatalistische Weise
akzeptierte, was er »wußte«, dann hätte ich auch besser verstehen können, warum
er sich so verhielt, wie er es tat – als sich die Welt gegen ihn zu stellen
schien und er kaum einen Finger zu seiner Verteidigung rührte.
    Wir lungerten im Redaktionsbüro der Schülerzeitung The Grave herum – in diesem Jahr war ›Die Stimme‹ auch
gleichzeitig der Chefredakteur – als ein äußerst unsympathischer Schüler namens
Larry Lish zu Owen sagte, Präsident Kennedy »treibe es« mit Marilyn Monroe.
    Larry Lish – Herbert Lawrence Lish, Jr. (sein Vater war der Filmproduzent Herb Lish) – war einer der zynischsten und dekadentesten Schüler der Academy. In seinem
ersten Jahr in Gravesend hatte er ein Mädchen aus der Stadt geschwängert, und
seine [512]  Mutter – erst kürzlich geschieden – hatte die Abtreibung so geschickt und geschwind in die Wege geleitet, daß nicht
einmal Owen und ich wußten, wer das Mädchen war; Larry Lish hat viele Mädchen
ins Unglück gestürzt. Von seiner Mutter sagte man, sie schicke seine
Freundinnen nach Schweden, und zwar schon beim geringsten Verdacht; man
munkelte, sie fliege selbst mit – nur um sicherzustellen, daß sie es auch
wirklich durchzogen. Und einmal aus Schweden zurück, wollten diese Mädchen
Larry niemals wiedersehen. Er war ein charmanter Zeitgenosse mit einem
gestörten Sozialverhalten, ein Widerling, der auf die armen, traurigen
Menschen, die sich von Reichtum und Extravaganz blenden lassen, einen guten
ersten Eindruck machte.
    Er war geistreich – selbst Owen war von Larrys Beiträgen zur Zeitung
beeindruckt – und wurde von Schülern und Lehrern gleichermaßen gehaßt; doch
zeigten die Schüler es nicht offensichtlich, weil niemand eine Einladung zu
einer der Parties abschlug, die sein Vater oder seine Mutter gaben. Die Lehrer
haßten Larry Lish insgeheim, weil sein Vater so berühmt war, daß viele sich vor
ihm fürchteten – und Lishs Mutter, die Geschiedene, eine Schönheit war und
hemmungslos herumtechtelte. Ich bin sicher, daß viele der Lehrer in der
ständigen Hoffnung lebten, sie bei einem Elternsprechtag zu sehen; vielen der
Schüler ging es übrigens ebenso.
    Owen und ich waren nie zu einer der Parties von Mr.   oder Mrs.   Lish
eingeladen worden; die Bewohner von New Hampshire kommen nicht so oft nach New
York – ganz zu schweigen von Beverly Hills. Herb Lish wohnte in Beverly Hills;
er veranstaltete typische Hollywoodparties, und Larry Lishs Freunde von der
Gravesend Academy, die das Glück hatten, aus der Gegend von Los Angeles zu
kommen, behaupteten, sie hätten bei diesen feudalen Anlässen tatsächlich
»Filmsternchen« zu sehen bekommen.
    Mrs.   Lishs Parties in der Fifth Avenue waren nicht weniger
provokant; die Verführung und Einschüchterung junger Menschen [513]  war eine Aktivität, der beide Eltern von Larry
gerne nachgingen. Und den Frauen aus New York – obwohl es nicht immer
hoffnungsvolle Schauspielerinnen waren – wurde nachgesagt, sie »trieben es«
noch zügelloser als ihre kalifornischen Geschlechtsgenossinnen.
    Nach ihrer Scheidung buhlten Mr.   und Mrs.   Lish gleichermaßen um die
zweifelhafte Gunst ihres Sprößlings; sie hatten sich einen Weg zu seinem Herzen
ausgesucht, der mit tollen Parties und teurem Sex gepflastert war. Larry verbrachte
seine Ferien abwechselnd in New York und Beverly Hills. An beiden Küsten
bestand die Gesellschaftsschicht, mit denen Mr.   und Mrs.   Lish Umgang pflegten,
aus

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