Owen Meany
beziehungsweise so
hoffnungsvolle Doink-Theorie wie Simon. Das einzige Mal, als ich Owen Meany mit
einer Erektion sah, hatte er Windeln an – er war ein elfjähriges Jesuskind; und
obwohl sein Steifer völlig fehl am Platze war, erschien er mir damals nicht
auffällig.
Was den Schuß anbelangte, so vernachlässigten wir ihn sträflich; am
Ende unseres ersten Studienjahres, im Sommer 1963 – als wir einundzwanzig waren
und endlich legal Alkohol konsumieren durften! – hatten wir Schwierigkeiten,
den Ball in weniger als fünf Sekunden in den Korb zu
stopfen. Wir mußten den ganzen Sommer daran arbeiten – nur um unser altes
Niveau wieder zu erreichen, nur um es wieder unter vier Sekunden zu schaffen.
Das war in dem Sommer, als die Buddhisten in Vietnam demonstrierten – sie haben
sich selbst angezündet. Es war der Sommer, als Owen meinte: »WIESO IST EIN KATHOLIK PRÄSIDENT EINES LANDES, DAS VOLLER
BUDDHISTEN IST?« Es war in dem Sommer, als Präsident Diems Tage
gezählt waren; die Tage von Präsident John [604] F.
Kennedy waren auch schon gezählt. Und es war der erste Sommer, in dem ich für
die Meany Granite Company arbeitete.
Ich gab mich der Illusion hin, für Mr. Meany zu arbeiten; auch er
gab sich dieser Illusion hin. Mir war bereits hinreichend klargemacht worden,
wer in dieser Familie wen herumkommandierte. Ich hätte von Anfang an wissen
müssen, daß Owen das Heft in der Hand hielt.
»MEIN VATER WILL, DASS DU IM LADEN ANFÄNGST«, sagte
er zu mir. »DU MACHST DICH ZUERST MIT DEM ENDPRODUKT VERTRAUT – IN DIESER BRANCHE IST ES EINFACHER, MIT DEN FEINARBEITEN ANZUFANGEN. DIE
HAUPTSCHWIERIGKEIT LIEGT DARIN, DAS ZEUG AUS DER ERDE ZU HOLEN. ICH HOFFE, DU
HÄLTST MICH NICHT FÜR ARROGANT, ABER MIT GRANIT ZU ARBEITEN IST NICHT VIEL ANDERS
ALS EIN REFERAT ZU SCHREIBEN – DIE ERSTE FASSUNG IST DAS SCHWIERIGSTE. WENN DAS
BRAUCHBARE ZEUG ERST MAL IM LADEN IST, DANN IST DIE FEINARBEIT NICHT MEHR
SCHWER: DEN GRABSTEIN SCHNEIDEN, DIE BUCHSTABEN EINGRAVIEREN – DA MUSS MAN NUR
UNHEIMLICH PINGELIG SEIN. ALL DAS GLÄTTEN UND DAS POLIEREN – DA MUSS MAN
LANGSAM VORGEHEN.
LASS DIR ZEIT MIT DER ARBEIT IM STEINBRUCH. IM LADEN
SIND GRÖSSE UND GEWICHT DES STEINES SO, DASS MAN EINFACHER DAMIT UMGEHEN KANN – DU ARBEITEST MIT KLEINEREN WERKZEUGEN UND EINEM KLEINEREN WERKSTÜCK. UND IM
LADEN IST JEDER TAG ANDERS; MAN WEISS NIE, WIEVIEL MAN ZU TUN KRIEGT – DIE
MEISTEN LEUTE STERBEN NICHT PROGRAMMGEMÄSS, DIE WENIGSTEN FAMILIEN BESTELLEN
EINEN GRABSTEIN IM VORAUS.«
Ich bin sicher, Owen sorgte sich darum, daß mir nichts passierte,
und ich weiß, daß er alles über Granit wußte; es war klug, erst einmal ein
Gefühl für den Stein zu entwickeln – auf einer kleineren, ausgefeilteren Stufe – ehe man sich mit der einschüchternden Größe und dem Gewicht der Granitblöcke
im Steinbruch [605] auseinandersetzte. All die
Steinbrucharbeiter – der Signalgeber, die Bohrarbeiter und die Sprengmeister – und selbst die Sägearbeiter, die den Stein grob zuschnitten, ehe er auf
Grabsteingröße zurechtgeschnitten wurde… all diese
Männer, die im Steinbruch arbeiteten, konnten sich viel weniger Fehler leisten
als diejenigen von uns, die im Laden arbeiteten. Und dennoch konnte ich mich
des Gefühls nicht erwehren, Owen habe noch andere Gründe als nur die Vorsicht,
als er mich den ganzen Sommer 1963 im Grabsteinladen behielt. Zunächst einmal
war ich zu wenig muskulös; und die körperliche Arbeit im Grabsteinladen war
viel weniger anstrengend als die eines Holzfällers bei Onkel Alfred. Dann
beneidete ich Owen um seine Bräune – er arbeitete immer im Steinbruch, außer
wenn es regnete; an Regentagen kam er zu uns in den Laden. Und wir ließen ihn
aus dem Steinbruch holen, wenn ein Kunde einen Grabstein bestellte; Owen
bestand darauf, die Bestellungen selbst entgegenzunehmen – und wenn der Auftrag
nicht von einem Bestattungsinstitut kam, wenn der Kunde selbst aus der
Trauerfamilie war oder ein naher Freund des Verstorbenen, dann waren wir alle
froh, daß Owen diese Arbeit erledigte.
Dabei war er ausgezeichnet – er hatte sehr viel Respekt vor Trauer,
war äußerst taktvoll (und schaffte es dabei gleichzeitig, sehr genau zu sein).
Es ging schließlich nicht nur darum, den Namen korrekt zu schreiben und sich
wiederholt zu vergewissern, ob Geburts- und Todesdatum auch stimmten; es wurde
über die Person des Verstorbenen diskutiert, und zwar ausführlich – Owen gab
sich erst mit einem PASSENDEN, einem
Weitere Kostenlose Bücher