Owen Meany
zu improvisieren. »UND DIESE MÄNNER«, fuhr er fort, »DIESE BERÜHMTEN, MÄCHTIGEN MÄNNER – HABEN DIE SIE WIRKLICH GELIEBT?
HABEN SIE SICH UM SIE GEKÜMMERT? WENN SIE JEMALS WIRKLICH WAS MIT DEN KENNEDYS
ZU TUN HATTE, KÖNNEN DIE SIE JEDENFALLS NICHT GELIEBT HABEN – SIE HABEN SIE NUR
BENUTZT, SIE WAREN EINFACH NUR RÜCKSICHTSLOS UND HABEN SICH MAL WAS AUFREGENDES
GEGÖNNT. UND GENAU DAS TUN DIE MÄCHTIGEN MÄNNER MIT DIESEM LAND – ES IST EIN
SCHÖNES LAND, SEXY UND ETWAS AUSSER ATEM, UND DIE MÄCHTIGEN MÄNNER BENUTZEN ES,
UM SICH MAL WAS AUFREGENDES ZU GÖNNEN! SIE SAGEN, SIE WÜRDEN ES LIEBEN, ABER
SIE MEINEN ES NICHT SO. SIE SAGEN SACHEN, DAMIT SIE ANSTÄNDIG WIRKEN – SIE TUN
SO, ALS WÄREN SIE MORALISCH . UND DAS HAB ICH AUCH VON KENNEDY GEGLAUBT: ICH HAB GEGLAUBT, ER
WÄRE [597] MORALISCH . DOCH ER HAT
UNS NUR WAS VORGEMACHT, ER WAR EINFACH NUR EIN GESCHICKTER VERFÜHRER. ICH
DACHTE, ER WÄRE EIN ERLÖSER . ICH DACHTE, ER WOLLE SEINE MACHT BENUTZEN, UM GUTES ZU TUN. ABER
DIE MENSCHEN SAGEN VIEL UND TUN ALLES, NUR UM AN DIE MACHT ZU KOMMEN; UND DANN
BENUTZEN SIE IHRE MACHT NUR, UM SICH WAS AUFREGENDES ZU GÖNNEN! MARILYN MONROE
HAT IMMER NACH DEM BESTEN MANN GESUCHT – VIELLEICHT WOLLTE SIE DEN INTEGERSTEN
MANN, VIELLEICHT WOLLTE SIE DEN MANN, DER IHR AM FÄHIGSTEN SCHIEN, GUTES ZU
TUN. UND SIE WURDE VERFÜHRT, WIEDER UND WIEDER – SIE WURDE HEREINGELEGT,
AUSGETRICKST UND BENUTZT, SIE WURDE AUFGEBRAUCHT . GENAU WIE
DIESES LAND. DIESES LAND SUCHT NACH EINEM ERLÖSER. DIESES LAND FÄLLT AUF
MÄCHTIGE MÄNNER REIN, DIE SO AUSSEHEN, ALS WÄREN SIE
GUT. WIR GLAUBEN, SIE SIND MORALISCH, UND DABEI BENUTZEN SIE UNS NUR. UND DAS
WIRD DIR UND MIR AUCH PASSIEREN«, sagte Owen Meany. »MAN WIRD UNS BENUTZEN.«
Georgian Bay, 26. Juli 1987 – Der Toronto
Star meldet, Präsident Reagan habe »anfangs persönlich alle
Vertuschungsaktionen geleitet, die zunächst darauf abzielten, wesentliche
Einzelheiten seines geheimen Waffen-gegen-Geiseln-Geschäfts nicht an die
Öffentlichkeit gelangen zu lassen, und dann, als die Öffentlichkeit davon
Kenntnis nahm, hatte er alles getan, um den Handel trotzdem durchzuziehen.« Der Toronto Star fügte an, der Präsident habe »zu den
Waffenverkäufen wiederholt irreführende Erklärungen abgegeben« – insgesamt viermal!
Owen meinte immer, was ihn an der Protestbewegung gegen den
Vietnamkrieg am meisten störe, sei die Tatsache, daß seiner Meinung nach bei
vielen Kriegsgegnern Eigennutz der Hauptgrund für ihre Einstellung war; wenn
nicht vielen von ihnen die Einberufung nach Vietnam drohen würde, gäbe es so
gut wie keinen Protest gegen diesen Krieg, vermutete er.
[598] Man braucht sich die USA ja nur einmal heute anzusehen. Werden junge
Amerikaner zum Militär eingezogen und nach Nicaragua in den Krieg geschickt?
Nein; noch nicht. Und gibt es Massen junger
Amerikaner, die sich über das schäbige und unehrliche Verhalten der
Reagan-Regierung empören? Na ja; wohl kaum.
Ich weiß, was Owen Meany dazu sagen würde; ich weiß, was er einmal
zu diesem Thema gesagt hat – und das gilt noch immer.
»ES GIBT NUR EINE MÖGLICHKEIT, DIE AMERIKANER DAZU ZU
BRINGEN, ETWAS ZUR KENNTNIS ZU NEHMEN: MAN MUSS STEUERN VON IHNEN VERLANGEN,
SIE ZUM MILITÄRDIENST EINBERUFEN ODER SIE UMBRINGEN«, meinte
Owen. Und als Hester einmal vorschlug, die allgemeine Wehrpflicht abzuschaffen,
wandte er ein: »WENN WIR DIE WEHRPFLICHT ABSCHAFFEN, WIRD ES DIE
MEISTEN AMERIKANER ÜBERHAUPT NICHT MEHR INTERESSIEREN, WAS WIR IN ANDEREN
TEILEN DER WELT MACHEN.«
Ich habe heute einen Nerz unter dem Bootshaus verschwinden sehen; er
war so schlank wie ein Wiesel und kaum größer – und er bewegte sich auf dessen
geschmeidige Art. Sein dichtes, glänzendes Fell ließ mich sofort an Larry Lishs
Mutter denken. Wo sie wohl sein mag? fragte ich mich.
Wo Larry Lish ist, weiß ich; er lebt als Journalist in New York und
ist bekannt dafür, daß er immer wieder politische Mißstände aufdeckt. Ich habe
einige seiner Artikel gelesen; sie sind nicht schlecht geschrieben – er war
schon immer ein kluger Kopf –, und mir fällt auf, daß er sich eine im Journalismus
unerläßliche Eigenschaft zugelegt hat (»unerläßlich« dann, wenn ein Journalist
sich einen Namen machen und einen festen Leserkreis gewinnen will und so
weiter). Larry Lish ist ausgesprochen selbstgerecht geworden, und was ich eine
im Journalismus »unerläßliche« Eigenschaft nenne, ist der Ton moralischer
Entrüstung in seinen
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