Owen Meany
einhelligen Meinung nach hatten
wir Studenten uns auf ihre Studienmethoden in ihren Fachrichtungen einzustellen.
Owen Meany, der immer und überall so aufgefallen war, wurde an der
University of New Hampshire leicht übersehen. In keinem seiner Kurse stach er
so hervor wie sein tomatenroter Kleintransporter, den man so leicht unter den
vielen Kleinwagen ausmachen konnte, die viele Studenten von ihren Eltern
bekommen hatten; meine Großmutter hatte mir einen VW -Käfer
gekauft; auf den Campusparkplätzen standen so viele blaue Käfer vom gleichen
Baujahr, daß ich meinen nur am Nummernschild oder an den persönlichen Dingen,
die ich auf dem Rücksitz liegengelassen hatte, erkennen konnte.
Und obwohl Owen und ich Hesters Freundschaft zunächst als Vorteil
betrachteten, war sie ein weiterer Grund, warum Owen Meany in Durham nicht
auffiel; Hester hatte viele ältere Bekannte, als wir mit dem Studium anfingen.
Und mit diesen älteren Semestern verbrachten wir unsere Freizeit; wir brauchten
uns keine neuen Freunde unter den Erstsemestern zu suchen – und als Hester und
ihre Freunde mit dem Studium fertig waren, hatten Owen und ich keine Freunde
mehr.
Was meine Angst anbelangte, die ich im Sommer 1962 verspürt hatte – was immer diese Angst auch gewesen war, sie machte nun einer Abgeschiedenheit
Platz, einem seltsamen Gefühl des Andersseins, doch ohne Einsamkeit; die kam
erst später. Und was Angst anbelangte: man hätte meinen können, die Kubakrise – in jenem Oktober – habe genügt; man hätte meinen können, wir würden uns vor
Angst in die Hose scheißen. Doch Owen sagte zu [602] Hester
und mir und ein paar Studenten, die in ihrer Wohnung herumlümmelten: »IHR BRAUCHT KEINE ANGST ZU HABEN, DAS IST KEINE GROSSE SACHE, ES
IST NUR EIN NUKLEARER BLUFF – DA WIRD NICHTS
PASSIEREN. IHR KÖNNT ES MIR GLAUBEN. ICH WEISS ES.«
Was er damit meinte, war, daß er zu »wissen« glaubte, was ihm passieren würde; daß ihn keine Raketen treffen würden – weder die der Sowjets noch unsere – und daß das, was immer ihm passieren
sollte, nicht im Oktober 1962 geschehen würde.
»Woher willst du denn wissen, daß nichts
passieren wird?« fragte ihn einer. Das war ein Typ, der in Hesters Wohnung saß,
als warte er nur darauf, daß Owen Meany tot umfiel. Er sagte Hester immer
wieder, sie solle das Alexandria Quartett lesen – vor
allem Justine und Clea, die
er, wie er behauptete, schon vier- oder fünfmal gelesen hatte. Hester las nicht
viel, und ich kannte nur Justine. Owen Meany hatte
die ganze Tetralogie gelesen und Hester und mir geraten, die letzten drei
Romane zu vergessen.
»ES IST IMMER DAS GLEICHE, UND NICHT BESONDERS GUT
GEMACHT«, meinte Owen. »EIN BUCH ÜBER
SEX IN EINER FREMDEN WELT REICHT.«
»Was willst du denn über ›Sex in einer
fremden Welt‹ wissen?« hatte der Durrell-Verehrer Owen gefragt. Owen hatte dem
Typ nicht geantwortet. Er wußte ganz genau, daß der mit ihm um Hesters
Zuneigung rivalisierte; er wußte auch, daß man Rivalen am besten entmannt,
indem man sie ignoriert.
»He!« sagte der Typ etwas lauter zu Owen. »Ich rede mit dir. Woher willst du wissen, daß es keinen Krieg gibt?«
»OH, ES WIRD SCHON NOCH EINEN KRIEG GEBEN«, erwiderte
Owen Meany. »ABER NICHT JETZT – UND NICHT WEGEN KUBA. ENTWEDER
WIRD CHRUSCHTSCHOW DIE RAKETEN AUS KUBA ABZIEHEN, ODER KENNEDY WIRD IHM
IRGENDWAS ANBIETEN, WAS IHM HILFT, DAS GESICHT ZU WAHREN.«
»Der Kleine weiß wohl alles«, sagte der Typ.
[603] »Nenn ihn nicht ›klein‹«,
fauchte Hester. »Er hat den größten Penis, den man sich vorstellen kann. Wenn es einen größeren gibt, dann will ich ihn lieber
nicht sehen«, meinte sie.
»KEIN GRUND, GLEICH SO GROB ZU WERDEN«, sagte
Owen Meany.
Das war das letzte, was wir von dem Typ sahen, der wollte, daß
Hester das Alexandria Quartett las. Ich muß zugeben,
daß mir in der Dusche der Turnhalle der Gravesend Academy – nachdem wir den
Schuß geübt hatten – schon aufgefallen war, daß Owens
»Doink« auffällig groß war; jedenfalls war er unverhältnismäßig groß.
Verglichen mit dem Rest von Owen war er riesig !
Mein Vetter Simon, dessen Doink recht klein war – möglicherweise
rührte das von Hesters Gewaltakt aus unseren Kindertagen her –, hat einmal
behauptet, kleine Doinks würden bei einer Erektion sehr viel größer; große
Doinks, meinte Simon, wachsen nicht mehr viel, wenn sie steif werden. Ich muß zugeben:
ich weiß es nicht – ich habe keine so unerbittliche
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