Owen Meany
hergestellt worden war – für etwas, das Owen »Spaltkeile«
nannte – und Owen versprach mir hoch und heilig, daß dem kleinen Tier nichts
Böses geschehen werde. Offensichtlich hatte Mrs. Meany Angst davor – Owen hatte
seine Eltern nicht vorgewarnt, daß das Gürteltier zu Besuch kommen würde; doch
Owen behauptete, diesen kleinen Schock habe seine Mutter verdient, weil sie
unaufgefordert sein Zimmer betrat. In Owens Zimmer (das ich kaum jemals zu
Gesicht bekommen habe) war alles so ordentlich und unberührbar wie in einem
Museum. [97] Deshalb konnte ich mir wohl
jahrelang so gut vorstellen, daß der Baseball, der meine Mutter tötete, als
Andenken in Owens seltsamem Zimmer lag.
Ich werde nie die Herbstferien vergessen, in denen ich Owen
Meany mit meinen wilden Verwandten bekannt machte. Am Tag bevor die Eastmans in
Gravesend ankamen, kam Owen zu uns in die Front Street, um das Gürteltier
abzuholen.
»Sie kommen nicht vor morgen abend«, sagte ich.
»UND WENN SIE DOCH FRÜHER KOMMEN?« fragte
er. »VIELLEICHT ÜBERLEGEN SIE SICH’S JA ANDERS. BESSER,
WIR GEHEN KEIN RISIKO EIN.«
Owen wollte sofort nach dem großen Thanksgiving-Dinner zu uns
kommen, doch ich meinte, der Tag danach wäre besser; ich sagte ihm, nach dem
Abendessen wären immer alle so vollgestopft, daß nicht mehr viel los sei.
»NA JA, ICH DACHTE, DASS SIE DANN RUHIGER WÄREN, WENN
SIE GERADE GEGESSEN HABEN «, wandte Owen ein. Ich muß zugeben, es
gefiel mir, ihn so nervös zu sehen. Ich fürchtete, daß Noah, Simon und Hester
vielleicht in einer ganz ungewöhnlich sanftmütigen Stimmung sein könnten, wenn
Owen kam, und daß er dann vielleicht dachte, ich hätte mir die wilden
Geschichten über sie nur ausgedacht – und hätte somit keinen Grund gehabt, ihn nie nach Sawyer Depot einzuladen. Ich wollte schon,
daß die drei Owen mochten, weil ich ihn mochte – er
war mein bester Freund –, aber trotzdem wollte ich nicht, daß alles so glatt
und ruhig verlaufen würde, daß ich ihn das nächste Mal mit nach Sawyer Depot
nehmen mußte. Ich war sicher, das würde die reine Katastrophe werden. Und ich
hatte auch ein wenig Angst, daß sich die drei über Owen lustig machten; und ich
muß zugeben, daß ich auch ein wenig Angst davor hatte, daß Owen mich
bloßstellen könnte – noch heute schäme ich mich für dieses Gefühl.
[98] Jedenfalls waren wir beide
nervös. Am Abend des Thanksgiving Day flüsterten wir am Telefon miteinander.
»SIND SIE HEUTE BESONDERS WILD?« wollte
er wissen.
»Besonders wild nicht«, sagte ich.
»WANN STEHEN SIE AUF? WANN SOLL ICH MORGEN
RÜBERKOMMEN?« fragte er.
»Die Jungen stehen früher auf«, meinte ich, »aber Hester schläft ein
bißchen länger – sie bleibt zumindest länger in ihrem Zimmer.«
»NOAH IST DOCH DER ÄLTESTE, ODER ?«,
sagte Owen, obwohl er sämtliche Daten schon hundertmal abgefragt hatte.
»Ja«, bestätigte ich.
»UND SIMON IST DER ZWEITÄLTESTE, ABER GENAU SO GROSS
WIE NOAH – UND SOGAR NOCH EIN BISSCHEN WILDER, ODER?« fuhr er
fort.
»Ja, ja.«
»UND HESTER IST DIE JÜNGSTE, ABER SIE IST GRÖSSER ALS
DU«, sagte er. »UND SIE IST HÜBSCH, ABER NICHT AUSSERGEWÖHNLICH HÜBSCH, STIMMT
DAS?«
»Das stimmt«, seufzte ich.
Hester sah nicht ganz so gut aus wie die restlichen Eastmans. Noah
und Simon hatten von Onkel Alfred das männlich wirkende, gute Aussehen geerbt – breite Schultern, starker Knochenbau, vorstehendes Kinn – und von Tante Martha
hatten die Jungen das blonde Haar und die aristokratischen Gesichtszüge. Doch
die breiten Schultern, der starke Knochenbau und das vorstehende Kinn ö das
wirkte nicht so attraktiv bei Hester, die weder das blonde Haar noch die
aristokratischen Gesichtszüge meiner Tante geerbt hatte. Hester hatte den
dunklen Teint und die vielen Haare von Onkel Alfred mitbekommen – sogar die
buschigen Augenbrauen, eigentlich nur eine einzige Braue, ohne Lücke über der
Nase – und sie hatte auch seine großen Hände. Hesters Hände sahen aus wie
Pranken.
[99] Dennoch hatte Hester Sex-Appeal,
gemäß der damaligen Mode, nach der kräftig gebaute Mädchen als sexy galten. Sie
besaß einen großen, athletischen Körper, und als Teenager mußte sie sicherlich
auf ihr Gewicht achten; doch sie hatte reine Haut und wohlgeformte Rundungen;
sie hatte einen aggressiven Mund, in dem eine Reihe gesunder Zähne blitzten,
und ihre Augen blickten spöttisch und mit einer gefährlich wirkenden
Intelligenz. Ihr Haar war dicht und voll.
»Ich hab
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