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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sucht, darf sich nicht daran gewöhnen können, wie
dunkel es da drin ist.«
    »ES GIBT HIER IRGENDWO EINE TASCHENLAMPE«, sagte Owen [109]  Meany
nervös. »VIELLEICHT KÖNNTEN WIR JA DIE TASCHENLAMPE NEHMEN,
DENN ES WÄRE AUCH SO NOCH ZIEMLICH DUNKEL.«
    »Nichts da!« sagte Hester.
    »Nein!« sagte Simon. »Wer in den Schrank geht und nach Hester sucht,
dem leuchten wir mit der Taschenlampe vorher ins Gesicht, dann ist er geblendet
und kann auf keinen Fall was sehen, egal wie hell oder dunkel es da drinnen
ist!«
    »Tolle Idee!« meinte Noah.
    »Ich krieg so lange Zeit, wie ich brauche, um mich zu verstecken«,
sagte Hester. »Und auch Zeit genug, um mich an die Dunkelheit zu gewöhnen.«
    »Nichts da!« sagte Simon. »Wir zählen bis zwanzig.«
    »Bis hundert!« verlangte Hester.
    »Bis fünfzig«, entschied Noah, also wurde bis fünfzig gezählt. Simon
fing an zu zählen, doch Hester versetzte ihm einen Stoß.
    »Du mußt warten, bis ich ganz im Schrank drin bin«, sagte sie.
    Als sie zum Wandschrank ging, mußte sie ganz dicht an Owen vorbei,
und als sie direkt neben ihm war, geschah etwas Seltsames. Hester blieb stehen
und streckte die Hand nach ihm aus – streckte ihre große Pranke aus, ganz
vorsichtig und sanft, wie es sonst nie ihre Art war, und berührte sein Gesicht,
als zwinge eine Kraft, die von ihm ausstrahlte, jeden Vorbeigehenden dazu, ihn
zu berühren. Hester faßte ihn an und lächelte – Owens kleines Gesicht war auf
einer Höhe mit den ersten Anzeichen ihrer Weiblichkeit, die in ihr T-Shirt
eingepflanzt schienen. Owen war schon daran gewöhnt, daß die Leute ihn
unbedingt berühren mußten, doch in Hesters Fall wich er ängstlich ein wenig
zurück – jedoch nicht so abrupt, daß er sie damit verletzte.
    Dann stampfte Hester in den Wandschrank, stolperte über die [110]  Schuhe, und wir hörten, wie sie sich durch die
Kleider wühlte, wie die Kleiderbügel auf der Metallstange quietschten und
etwas, das so klang, als schiebe sie die Hüte auf den oberen Regalfächern
herum. Einmal sagte sie: »Scheiße!«. Und dann: »Was ist das denn?« Als es
endlich still geworden war, hatten wir Simon bereits mit dem grellen Licht der
Taschenlampe vollständig geblendet; er wollte unbedingt als erster drankommen,
und als wir ihn in den Schrank schoben, war er erwiesenermaßen blind – hätte er
nicht einmal im hellen Tageslicht etwas sehen können. Sobald Simon im
Wandschrank war und wir die Tür hinter ihm geschlossen hatten, hörten wir, wie
Hester ihn attackierte; sie mußte fester an seinem Doink gezogen haben, als sie eigentlich vorgehabt hatte, denn er schrie mehr vor
Schmerz als vor Erstaunen auf, hatte Tränen in den Augen und hielt noch immer
zusammengekrümmt sein wichtigstes Körperteil, als er aus dem Schrank
herausstolperte und sich auf dem Fußboden wälzte.
    »Um Gottes willen, Hester!« sagte Noah. »Was hast du bloß mit ihm
angestellt?«
    »Das wollte ich nicht«, tönte ihre Stimme aus dem dunklen
Wandschrank.
    »Das ist gemein, am Doink und an den Eiern
zu ziehen!« winselte Simon, der noch immer gekrümmt auf dem Boden lag.
    »Das wollte ich nicht«, antwortete sie mit süßlicher Stimme.
    »Du Sau!« sagte Simon.
    »Du bist ja auch immer grob zu mir, Simon«, entgegnete Hester.
    »Aber mit Eiern und Doink geht man nicht
so grob um!« sagte Noah.
    Doch Hester gab keine Antwort mehr; wir hörten, wie sie sich auf den
nächsten Angriff vorbereitete, und Noah flüsterte Owen und mir zu, da es zwei
Türen gebe, sollten wir Hester überraschen, indem wir durch die andere Tür
hineingingen.
    »WER IST WIR ?« flüsterte Owen.
    [111]  Noah deutete schweigend auf ihn,
und ich richtete die Taschenlampe direkt auf Owens große, hervorquellende
Augen, die seinem Gesicht den ängstlichen Ausdruck einer in die Enge
getriebenen Maus verliehen.
    »Du darfst nicht so fest zupacken,
Hester!« rief Noah, doch Hester antwortete nicht.
    »SIE WILL IHR VERSTECK NICHT PREISGEBEN«, flüsterte
Owen – um sich selbst zu beruhigen.
    Dann warfen Noah und ich Owen durch die andere Tür in den
Wandschrank; der war L-förmig, und da Owen durch die Tür an der kurzen Seite
hineinging, so rechneten Noah und ich uns aus, würde er erst nach der Ecke auf
Hester stoßen – und auch nur dann, wenn Hester sich bewegen konnte, denn ihr
Versteck lag sicherlich am Ende der langen Seite.
    »Durch die andere Tür reinzukommen ist gemein!« rief Hester prompt,
was unserer Meinung nach ein weiterer Vorteil für Owen war,

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