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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Academy: eigentümlich, einem Grabmal ähnlich.
    Wenn Schnee liegt, ist die Gegend, wo ich wohne, in der Russell Hill
Road, fast eine Art Neuengland; natürlich, die Bewohner von Toronto begeistern
sich nicht für weißgeschindelte Häuser mit dunkelgrünen oder schwarzen
Fensterläden, doch das Haus meiner Großmutter in der Front Street war aus
Ziegelsteinen gemauert – das ist den Leuten hier in Toronto lieber,
Ziegelsteine und überhaupt Steine. Unerklärlicherweise bringen sie an ihren
Steinhäusern zu viele Verzierungen an, zum Beispiel um die Fenster herum
zusätzlich zu den Fensterläden, in die sie bereits Herzen oder Ahornblätter
geschnitzt haben, doch der Schnee verhüllt diese Ausschmückungen; und an
manchen Tagen, zum Beispiel heute, wenn er besonders naß und schwer ist, tüncht
er sogar die Ziegelsteinhäuser weiß. Toronto wirkt nüchtern, aber nicht streng;
Gravesend wirkt streng, aber zugleich hübsch; Toronto ist nicht hübsch, doch
wenn Schnee liegt, kann Toronto aussehen wie Gravesend – hübsch und streng
zugleich.
    Und von meinem Schlafzimmerfenster in der Russell Hill Road aus kann
ich zwei Kirchen sehen, die Grace Church-on-the-Hill und die Bishop Strachan
Chapel; wie passend, daß jemand, dessen Kindheit zwischen zwei Kirchen aufgeteilt
war, sein Leben als Erwachsener ebenfalls im Schatten zweier Kirchen verbringt!
Doch [131]  hier ist es mir recht; beides sind
anglikanische Kirchen. Die kalten, grauen Steinfassaden der Grace Church wie
der Bishop Strachan Chapel wirken im Schnee ebenfalls angenehmer.
    Meine Großmutter meinte immer, Schnee habe eine »heilsame Wirkung« – er heile alles. Ein typisch neuenglischer Standpunkt: Wenn es viel schneit, muß
Schnee gut für einen sein. Der Schnee in Toronto ist gut für mich. Und die
Kinder, die im St.   Clair-Park Schlitten fahren, die erinnern mich auch an Owen – denn ich habe Owen in einer ewig gleichen Größe in mein Gedächtnis
eingeprägt, in der Größe, die er als Elfjähriger hatte, d.   h. der eines
durchschnittlichen Fünfjährigen. Doch ich sollte vorsichtig sein und dem Schnee
nicht zuviel Beachtung beimessen; so viele Dinge erinnern mich an Owen.
    Ich meide Zeitungen und Zeitschriften aus den USA, das amerikanische Fernsehen – und andere US -Amerikaner
    in Toronto. Doch Toronto ist nicht weit genug weg. Erst vorgestern, am 28.   Januar 1987, hat The Globe und Mail Präsident Reagans
Regierungserklärung im Wortlaut abgedruckt. Werde ich denn nie klüger? Ich weiß
genau: Wenn ich so etwas sehe, sollte ich gar nicht erst anfangen zu lesen; ich
sollte statt dessen mein Gebetbuch hervorholen. Ich sollte mich nicht vom Zorn
übermannen lassen; aber, der Herr möge mir vergeben, ich habe die
Regierungserklärung gelesen. Nach beinahe zwanzig Jahren in Kanada gibt es in
den USA noch immer ein paar Verrückte, die
mich faszinieren.
    »Es darf keinen sowjetischen Brückenkopf in Mittelamerika geben«,
hat Präsident Reagan erklärt. Er beharrte auch darauf, seine geplanten
nuklearen Weltraumwaffen – sein geliebtes Star-Wars-Projekt – auf keinen Fall
einem Abkommen mit der Sowjetunion zur Begrenzung der atomaren Rüstung zu
opfern. Er sagte sogar, ein »Schlüsselelement der Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion« sei »verantwortungsvolleres
Verhalten der Sowjets auf der ganzen Welt« – als seien die Vereinigten Staaten [132]  eine Bastion »verantwortungsvollen Verhaltens auf
der ganzen Welt«!
    Ich glaube, Präsident Reagan kann so etwas allein deshalb sagen,
weil er weiß, daß ihn das amerikanische Volk nie für das zur Verantwortung
ziehen wird, was er sagt; es ist die Geschichte, die einen zur Verantwortung
zieht, und, wie ich bereits anmerkte: die Amerikaner haben es nicht mit
Geschichte. Wie viele von ihnen können sich auch nur an ihre eigene jüngste
Vergangenheit erinnern? Sind Geschehnisse von vor zwanzig Jahren für Amerikaner
bereits zu lange her? Erinnern sie sich noch an den 21.   Oktober 1967? Da
demonstrierten fünfzigtausend Kriegsgegner in Washington; ich war dabei; das
war der sogenannte »Marsch aufs Pentagon« – weiß das noch jemand? Und zwei
Jahre danach – im Oktober 1969 – noch einmal fünfzigtausend in Washington; sie
trugen Taschenlampen mit sich und forderten Frieden. Hunderttausend riefen in
Boston nach Frieden; zweihundertfünfzigtausend in New York. Ronald Reagan hatte
noch nicht die ganzen Vereinigten Staaten eingelullt, doch Kalifornien hatte er
bereits erfolgreich in

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