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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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und Rumpf zu bestehen; ich konnte mir
vorstellen, daß dort, wo die Krallen gewesen waren, zwei verkümmerte Flossen
hervorstanden.
    Ehe ich einschlief, wurde mir klar, daß alles, was Dan über Owens
Absichten gesagt hatte, stimmte. Wie wichtig war es für mein Leben, daß Dan
Needham sich so gut wie nie irrte! Ich war damals noch nicht so vertraut mit
Walls History of Gravesend wie später, als ich
achtzehn war und den ganzen Schinken selbst las; doch mit den Stellen, die Owen
Meany als »wichtig« betrachtete, war ich vertraut. Und ehe ich einschlief,
erkannte ich auch, was mein Gürteltier jetzt war – zusätzlich zu all dem, was
Dan mir gesagt hatte. Mein Gürteltier war amputiert worden, damit es
Watahantowets Totem ähnelte, diesem tragischen und geheimnisvollen armlosen
Menschen – denn die Indianer waren so klug, zu erkennen, daß alles eine Seele
hat, einen eigenen Geist.
    Owen Meany sagte mir, daß nur die Weißen so überheblich seien, zu
glauben, wir Menschen wären einzigartig, weil wir eine Seele haben. Laut Owen
wußte es Watahantowet besser. Watahantowet glaubte, daß auch Tiere eine Seele
haben, und daß selbst der häufig mißbrauchte Squamscott eine Seele hatte – Watahantowet wußte, daß das Land, das er meinen Vorfahren verkaufte, voll von
Seelen und Geistern war. Die Steine, die sie beseitigt hatten, um die Erde zu
bestellen: Sie waren danach für immer rastlose und entwurzelte Geister. Und die
Bäume, die sie gefällt hatten, um damit ihre Häuser zu bauen: die hatten andere
Geister als die, die das Haus als Rauch von Feuerholz verließen. Watahantowet
war möglicherweise der letzte Bewohner von Gravesend, New Hampshire, der
wirklich um den Wert der Dinge wußte. Hier, nehmt
mein Land! Ich bin meiner Arme bar!
    Ich brauchte Jahre, um alles zu verstehen, was Owen Meany dachte,
und in dieser Nacht verstand ich ihn nicht sehr gut. Jetzt [129]  weiß ich, daß das Gürteltier mir sagen sollte,
was Owen dachte, während er selbst dies erst tat, als wir schon an der
Gravesend Academy waren; erst dann erkannte ich, daß Owen mir diese Nachricht
schon einmal übermittelt hatte – über das Gürteltier. Owen Meany (und das
Gürteltier) sagten mir: »GOTT HAT DEINE MUTTER GENOMMEN. MEINE HÄNDE WAREN
DAS WERKZEUG. GOTT HAT MEINE HÄNDE GENOMMEN. ICH BIN DAS WERKZEUG GOTTES.«
    Wie hätte es mir damals in den Sinn kommen können, daß ein
anderer Elfjähriger so etwas dachte? Nichts lag mir damals ferner als der
Gedanke, daß Owen Meany ein Auserwählter war; daß Owen sich selbst als einen
von Gott Auserwählten betrachtete, hätte mich damals erstaunt. Wenn man ihn in
der Sonntagsschule in der Luft schweben sah, hätte man nicht gedacht, daß er im
Auftrag Gottes handle. Und von Owen einmal abgesehen, darf man nicht vergessen,
daß ich damals, im Alter von elf Jahren, nicht daran glaubte, daß es »Auserwählte« gab , daß Gott Menschen für etwas »bestimmte«, ihnen einen
»Auftrag« erteilte. Was Owens Glauben anbelangte, er sei »das Werkzeug Gottes«,
so wußte ich damals nicht, daß es da noch andere Gründe gab, aus denen seine
Überzeugung herrührte, gerade er sei dazu auserwählt, das Werk Gottes zu
vollbringen; denn Owens Meinung – daß Gottes Denken irgendwie alles, was er
tat, vorherbestimmte – gründete sich auf viel mehr als auf einen unglücklichen
Fehlschlag bei einem Baseballspiel. Wie sich noch zeigen wird.
    Heute, am 30.   Januar 1987, schneit es in Toronto; für meinen
Hund macht Schnee die Stadt nur reizvoller. Ich gehe gern mit ihm spazieren,
wenn es schneit, denn seine Begeisterung ist ansteckend; wenn Schnee liegt,
macht er seine Territorialansprüche auf den St.   Clair-Park auf eine Weise
deutlich, als wäre er der erste Hund, der sich hier erleichtert – eine
Illusion, die nur möglich ist [130]  dank der
frischen Schneedecke über den zahllosen Hundeköteln, für die dieser Park
berüchtigt ist.
    Im Schnee scheint sich der Uhrenturm des Upper Canada College über
einer Privatschule in einer Kleinstadt in Neuengland zu erheben; wenn es nicht
schneit, sind die Autos und Busse auf den umliegenden Straßen zahlreicher, ist
der Verkehrslärm weniger gedämpft und die Nähe der Innenstadt von Toronto
deutlicher. Der Anblick des schneebedeckten Uhrenturms des Upper Canada College
erinnert mich – besonders aus einiger Entfernung, von der Kilbarry Road, oder
etwas näher, vom Ende der Frybrook Road aus gesehen – an den Uhrenturm auf dem
Hauptgebäude der Gravesend

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