Owen Meany
den Schlaf gewiegt; er bezeichnete die Proteste gegen
den Krieg in Vietnam damals als »den Feinden Amerikas in die Hände arbeiten«.
Später, als Präsident, wußte er noch immer nicht, wer der Feind war.
Ich glaube heute, daß Owen Meany das immer wußte; er wußte alles.
Wir waren im letzten Jahr an der Gravesend Academy, im Februar 1962;
wir sahen viel fern in der Front Street. Präsident Kennedy sagte, die
amerikanischen Berater in Vietnam würden das Feuer erwidern, wenn es auf sie
eröffnet würde.
»HOFFENTLICH BERATEN WIR AUCH DIE RICHTIGEN«, meinteOwen Meany.
In diesem Frühling, knapp einen Monat vor den Abschlußprüfungen an
der Gravesend Academy, zeigte man uns im Fernsehen eine Karte von Thailand;
5000 Mann Landungstruppen der [133] US -Marines und 50 Düsenjäger wurden dorthin geschickt – »als Antwort auf die kommunistische Expansion in Laos«, wie Präsident Kennedy
sagte.
»HOFFENTLICH WISSEN WIR, WAS WIR DA TUN«, meinte
Owen Meany.
Im Sommer ’63, unserem zweiten Jahr an der Universität,
demonstrierten die Buddhisten in Vietnam, es gab Aufstände. Owen und ich sahen
zum ersten Mal, wie jemand sein eigenes Leben für eine Sache opferte – im
Fernsehen. Südvietnamesische Regierungstruppen, geführt von Ngo Dinh Diem – dem
gewählten Präsidenten – griffen mehrere buddhistische Pagoden an; das war im
August. Im Mai zuvor hatte Diems Bruder – Ngo Dinh Nhu, der Chef der
Geheimpolizei – eine buddhistische Feier aufgelöst, wobei acht Kinder und eine
Frau getötet wurden.
»DIEM IST KATHOLIK«, verkündete Owen
Meany. »WIESO IST EIN KATHOLIK PRÄSIDENT EINES LANDES, DAS
VOLLER BUDDHISTEN IST?«
Das war in dem Sommer, als Henry Cabot Lodge amerikanischer
Botschafter in Vietnam wurde; das war in dem Sommer, als Cabot Lodge ein Telegramm
vom Außenministerium erhielt mit der Nachricht, die Vereinigten Staaten würden
Ngo Dinh Nhus »Einfluß« auf Präsident Diems Regime nicht länger dulden. Zwei
Monate später wurde Diems Regierung gestürzt; am Tag darauf wurden Diem und
sein Bruder Nhu ermordet.
»SIEHT AUS, ALS WÜRDEN WIR DIE FALSCHEN BERATEN «, meinte Owen.
Und im darauffolgenden Sommer, als wir im Fernsehen sahen, wie
nordvietnamesische Torpedoboote im Golf von Tonking kreuzten – innerhalb von
zwei Tagen griffen sie zwei amerikanische Zerstörer an –, sagte Owen: »HALTEN WIR DAS ETWA FÜR EINEN KINOFILM?«
Präsident Johnson bat den Kongreß, ihm die Machtbefugnis zu
erteilen, »alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um einen [134] bewaffneten Angriff gegen die Streitkräfte der
Vereinigten Staaten abzuwehren und weitere Angriffe zu verhindern«. Die
Tonking-Resolution wurde im Kongreß einstimmig mit 416 zu 0 Stimmen angenommen;
im Senat verlief die Abstimmung 88 zu 2. Doch Owen stellte dem Fernseher meiner
Großmutter eine Frage: »HEISST DAS, DER PRÄSIDENT KANN EINEN KRIEG
ERKLÄREN, OHNE EINEN KRIEG ZU ERKLÄREN?«
An diesem Silvesterabend – ich weiß noch, daß Hester zuviel
getrunken hatte; sie erbrach sich – waren kaum mehr als 20 000 Amerikaner in
Vietnam, und nur etwa ein Dutzend war umgekommen. Als der Senat die
Tonking-Resolution widerrief – im Mai 1970 – waren mehr als eine halbe Million
Angehörige der amerikanischen Streitkräfte in Vietnam; und mehr als 40 000 von
ihnen waren tot.
Schon 1965 entdeckte Owen Meany ein strategisches Problem.
Im März begannen die amerikanischen Luftstreitkräfte mit der Operation Rolling Thunder – um Ziele in Nordvietnam zu
treffen und den Nachschub nach Süden zu unterbinden –, und die ersten
amerikanischen Kampftruppen landeten in Vietnam.
»DAS NIMMT KEIN ENDE«, sagte Owen. »DAS NIMMT
KEIN GUTES ENDE.«
An Weihnachten stoppte Präsident Johnson die Operation Rolling Thunder; er stellte die Bombardierung ein. Einen Monat
später wurde die Bombardierung wieder aufgenommen, und der Senatsausschuß für
Außenpolitik begann mit den Anhörungen, die im Fernsehen ausgestrahlt wurden.
Da begann meine Großmutter, auf das Ganze aufmerksam zu werden.
Im Herbst 196 6 hieß es; Operation Rolling Thunder »kreise Hanoi langsam ein«; doch Owen Meany
meinte: »ICH GLAUBE, HANOI WIRD DAMIT FERTIG.«
Erinnert man sich noch an Operation Tiger Hound ?
Was ist mit Operation Masher/White
Wing/Than Phong 11 ? Bei der letzten gab es 2389 Mann
»offiziell bekannte gegnerische Verluste«. Und [135] dann
kam Operation Paul Revere/Than Phong 14 – nicht ganz
so erfolgreich, nur 546 Mann »offiziell
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