Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
worden.
    Rev. Merrill wirkte wie ein unscheinbarer Mann, der sich durch Fleiß
und Ausdauer über seine Unscheinbarkeit hinausgearbeitet [166]  hatte; und dieser Aufstieg tat sich in seiner
Redegewandtheit kund. Doch seine Familie war derart von dieser Unscheinbarkeit
geprägt, daß die Glanzlosigkeit seiner Frau und seiner Kinder sogar ihre
Anfälligkeit für Krankheiten übertraf, was wahrlich bemerkenswert war.
    Es hieß, Mrs.   Merrill habe ein Alkoholproblem – zumindest aber
vertrage sich ihr mäßiger Alkoholkonsum nicht mit der langen Liste der
Medikamente, die sie einnehmen mußte. Eines der Kinder schluckte einmal alle Tabletten im Haus und mußte sich den Magen auspumpen
lassen. Und nach ein paar einleitenden Worten von Mr.   Merrill vor den Jüngsten
in der Sonntagsschule zog ihn eines seiner eigenen Kinder an den Haaren und
spuckte ihm ins Gesicht. Als die Kinder der Merrills größer wurden, schändete
eines von ihnen einen Friedhof.
    Da war er, unser Pastor, ganz offensichtlich ein kluger Kopf, ganz
offensichtlich in der Lage, sich mit den tiefgründigsten Elementen von
religiösem Glauben und Zweifel auseinanderzusetzen; und dennoch hatte Gott
offensichtlich einen Fluch über seine Familie gelegt.
    Für Rev. Dudley Wiggin konnte man einfach kein vergleichbares
Mitleid aufbringen – für Captain Wiggin, wie ihn
einige seiner heftigeren Kritiker nannten. Er war ein kräftiger, jovialer
Mensch, sein Lächeln wirkte wie ins Gesicht eingemeißelt; es war das Grinsen
von jemandem, der seine eigene Waghalsigkeit überlebt hat. Er sah aus wie ein
Expilot mit Absturz erfahrung, wie ein Luftkampf- und
Bruchlandungsveteran – Dan Needham erzählte mir, daß Captain Wiggin im Krieg
Bomberpilot gewesen war, und Dan mußte es wissen: Er war selbst Sergeant
gewesen, in Italien und Brasilien, wo er Mitteilungen in Geheimcodes
dechiffriert hatte. Und selbst Dan war entsetzt, wie derb Dudley Wiggin das
Krippenspiel der Kinder inszenierte –, und dabei war Dan, was Laientheater
anging, toleranter als das für Gravesend typische Theaterpublikum. Mr.   Wiggin
verpaßte dem Krippenspiel ein [167]  gewisses
Horrorshow-Element; für ihn enthielt jede Geschichte aus der Bibel – wenn man
sie richtig verstand – etwas Bedrohliches.
    Und seine Frau hatte ganz offensichtlich
niemals gelitten. Barbara Wiggin, eine ehemalige Stewardess, war ein vorlautes,
rothaariges Geschöpf, das einem gerne auf die Schulter klopfte. Mr.   Wiggin
nannte sie »Barb«, und so meldete sie sich auch selbst bei den
Telefongesprächen, die sie wegen diverser Wohltätigkeitsveranstaltungen führte.
    »Hallo! Hier ist Barb Wiggin! Ist deine Mammi oder dein Papi da?«
    Owen nannte sie »die barbarische Barb«, weil sie ihn gern an den
Hosen hochnahm – sie packte ihn am Gürtel, stemmte ihm die Faust in den Bauch
und hob ihn hoch zu ihrem Stewardessen-Gesicht: ein gutaussehendes, gesundes,
vernünftiges Gesicht. »Oh, du bist richtig gol-dig!« sagte sie zu Owen. »Werd
bloß niemals groß!«
    Owen haßte sie; er bekniete Dan immer, ihr doch eine Rolle als
Prostituierte oder Kinderschänderin zu geben, doch die Gravesend Players hatten
nicht viele Stücke mit derartigen Rollen in ihrem Repertoire, und Dan fiel auch
keine andere sinnvolle Einsatzmöglichkeit für sie ein. Ihre eigenen Kinder
waren große, kräftige Athleten, beneidenswert gut gebaut. Alle Kinder der Wiggins spielten Touch-Football, und jeden Sonntag
organisierten sie Mannschaftsspiele auf dem Rasen vor dem Gemeindehaus. Und
trotzdem traten wir – unvorstellbar! – zu den Episkopalen über. Aber nicht
wegen dem Touch-Football, das Dan, meine Mutter und auch ich nicht ausstehen
konnten. Ich konnte mir nur denken, daß Dan und meine Mutter darüber gesprochen
hatten, Kinder zu bekommen, und daß Dan wollte, daß seine Kinder in der
Episkopalkirche getauft würden – obwohl, wie ich schon erwähnte, dieses ganze
Kirchengedöns Dan eigentlich nicht sonderlich zu interessieren schien.
Vielleicht nahm meine Mutter seinen Glauben wichtiger als Dan selbst. Zu mir
sagte meine Mutter [168]  lediglich, es sei
besser, wenn wir alle in einer Kirche wären, und Dan liege mehr an seiner Kirche als ihr an ihrer – und es sei doch nett für mich, dort zu sein, wo auch Owen war, oder? Das war
schon richtig.
    Dem Himmel sei Dank für die Hurd’s Church; das war der
unglückliche Name der konfessionsfreien Kirche der Gravesend Academy – sie war
nach Rev. Emery Hurd, dem Begründer der

Weitere Kostenlose Bücher