Owen Meany
waren alle Ärzte
und Rechtsanwälte, und sie waren nicht damit einverstanden, daß Dan keine
Karriere machen wollte. Daß er in Harvard war und dann nicht weiter studiert hatte, Jura oder Medizin – das war
kriminelle Faulheit; Dan kam aus einer Familie, in der man sehr viel Wert
darauf legte, weiter zumachen. Es störte sie, daß er
schließlich nur einfacher Lehrer blieb, und daß er
seinem Hobby nachging, Theateraufführungen zu leiten – sie fanden, solche
Kinderspiele seien eines ernsthaften Erwachsenen unwürdig. Und meine Mutter
mochten sie auch nicht – das war dann das Ende jeglicher Beziehung, die Dan zu
seiner Familie gehabt hatte. Sie nannten sie »die Geschiedene«; ich glaube
nicht, daß je einer aus der Familie der Needhams geschieden worden war, und
deshalb war es das Schlimmste, was man über eine Frau sagen konnte – noch
schlimmer als meine Mutter als das zu bezeichnen, was sie war: eine ledige
Mutter. Vielleicht klang ledige Mutter zu sehr nach Pech, wohingegen man der
Geschiedenen eine Absicht unterstellte – eine Frau,
die sich den liebenswerten Taugenichts Dan einfangen wollte.
Ich kann mich kaum an die Begegnung mit Dans Familie erinnern; bei
der Hochzeit blieben sie für sich. Meine Großmutter war empört, daß es Menschen
gab, die die Frechheit besaßen, sich ihr gegenüber herablassend zu verhalten – sie wie eine Nörglerin aus der Provinz zu behandeln. Ich erinnere mich an die
spitze Zunge von Dans Mutter und daran, daß sie, als ich ihr vorgestellt wurde,
sagte: »Also das ist das Kind.« Und dann musterte sie
eine Weile eingehend mein Gesicht – auf der Suche nach einem Hinweis auf [160] die Rasse meines fehlenden männlichen Vorfahren,
glaube ich. Doch an mehr kann ich mich nicht erinnern. Dan wollte nichts mehr
mit ihnen zu schaffen haben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie etwas mit
der vierjährigen Verlobungszeit zu tun hatten.
Und nach allen Vergleichen und Gegenüberstellungen theologischer
Natur fand die Verbindung zwischen Dan und meiner Mutter unentwegt religiöse
Unterstützung; und dies sogar doppelt – die Kongregationalisten
und die Episkopalen schienen geradezu um das Privileg zu wetteifern, Dan und
meine Mutter in ihre Glaubensgemeinschaft aufzunehmen. Meiner Meinung nach gab
es überhaupt keinen Anlaß zu einem derartigen Wettstreit; natürlich fand ich
Gefallen daran, Owen in der Sonntagsschule hochzuheben, aber das war auch schon
alles, was die Episkopalen gegenüber den Kongregationalisten an Vorzügen zu
bieten hatten.
Es gab nicht nur die Unterschiede, die ich schon erwähnte – was
Architektur und Atmosphäre anbelangte, und die kirchlichen Unterschiede, die
eine Messe in der Episkopalkirche viel katholischer erscheinen ließen als eine
Messe bei den Kongregationalisten – KATHOLISCH,
MIT EINEM GANZ GROSSEN K, wie Owen sagen würde. Es gab auch einen
himmelweiten Unterschied zwischen Rev. Lewis Merrill, den ich mochte, und Rev.
Dudley Wiggin – dem Pfarrer der Episkopalkirche –, der ein langweiliger Trottel
war.
Ich muß zugeben, daß mein geringschätziger Vergleich dieser beiden
Kirchenmänner zu einem nicht unwesentlichen Teil auf den Snobismus, den ich von
Großmutter Wheelwright geerbt hatte, zurückzuführen war. Bei den
Kongregationalisten gab es einen Pastor, einen
Seelsorger, bei den Episkopalen einen Rector, einen
»Gemeindeleiter«. Großmutter und ich fanden beide, daß Pastor viel beruhigender klingt als Rector.
Doch ich hätte Schwierigkeiten gehabt, Rev. Dudley Wiggin ernst zu
nehmen, selbst wenn er Pastor gewesen wäre. Während [161] Rev.
Merrill seiner Berufung bereits als junger Mann nachgefolgt war – er war schon
immer eng mit der Kirche verbunden gewesen –, war Rev. Wiggin ein ehemaliger
Pilot; Probleme mit den Augen hatten ihn gezwungen, sich frühzeitig aus den
Lüften zurückzuziehen, und er war mit einer neuentdeckten Leidenschaft auf
unsere mißtrauische Stadt herabgekommen – der Feuereifer des Konvertiten
verlieh ihm das gesunde, aber fanatische Aussehen eines jener Ȋlteren
Mitbürger«, die an schweißtreibenden Seniorensportveranstaltungen teilnehmen.
Pastor Merrill drückte sich gewählt aus – er hatte in Princeton Englisch als
Hauptfach studiert und an der theologischen Fakultät Vorlesungen von Niebuhr
und Tillich besucht – Rector Wiggin hingegen hielt seine Predigten in der
Sprache eines Expiloten; er donnerte von der Kanzel und kannte keinerlei
Zweifel.
Pastor Merrills größtes Plus
Weitere Kostenlose Bücher