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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Mr.
Chickering, ein überaus gutherziger Mensch, hatte uns immer gesagt, wenn wir
gewannen, dann gewannen wir als Team, und wenn wir verloren, dann auch als
Team. Nun hatten wir – in seinen Augen – als Team getötet; doch in der Kirche saß er weinend an seinem Platz, als trage er mehr als die
Verantwortung, die er als unser Teamchef hatte.
    Er hatte einige Mitspieler und deren Eltern gebeten, sich neben ihn
zu setzen – darunter den glücklosen Harry Hoyt, der beim Spiel damals einen
Freilauf zur ersten Base bekommen hatte und somit einen kleinen Beitrag dazu
geleistet hatte, daß Owen überhaupt mit Schlagen an die Reihe kam. Nun saß er
in der Kirche und war von Mr.   Chickerings Tränen tief betroffen. Harry war
nahezu unschuldig. Wir waren bereits hoffnungslos im Rückstand gewesen: es
hatte keinen Zweck mehr für Harry, die erste Base zu erreichen. Was hätte uns
das schon bringen können? Harry hätte darauf verzichten sollen.
    Ansonsten war er ein harmloses Geschöpf, obwohl er seiner Mutter
einigen Kummer bereitete. Sein Vater war tot, und seine Mutter hatte jahrelang
als Sekretärin bei den Gaswerken gearbeitet; sie mußte alle Telefonanrufe wegen
Fehlern in den Rechnungen und Problemen mit der Gasversorgung entgegennehmen.
Harry hatte einfach nicht das Zeug für die Gravesend Academy. Er beendete die
Gravesend High School und meldete sich dann zur Marine – die Marine war in Gravesend
recht beliebt. Seine Mutter wollte ihn vom Militärdienst freistellen lassen,
gab an, daß sie als Witwe die Unterstützung ihres Sohnes brauche; aber erstens
hatte sie eine Arbeit und zweitens wollte Harry zur
Marine. Es war ihm peinlich, daß es seiner Mutter an patriotischem Eifer [185]  mangelte; möglicherweise war das das einzige Mal,
daß er sich mit jemandem auseinandersetzte, doch diese Auseinandersetzung
gewann er – er ging nach Vietnam, wo er von einer der Giftschlangen, die es
dort gibt, getötet wurde. Es war eine Kettenviper, und sie biß ihn, während er
an einen Baum pinkelte; späteren Enthüllungen zufolge stand dieser Baum vor
einem Bordell, wo Harry darauf wartete, daß er an die Reihe kam. So war er
eben; kein Draufgänger – trotzdem ist er draufgegangen.
    Seine Mutter wurde durch seinen Tod politisiert – zumindest
»ziemlich politisiert« für die Verhältnisse von Gravesend. Sie bezeichnete sich
als Kriegsgegnerin und machte publik, daß sie in ihrem Haus kostenlose
Beratungen für junge Männer durchführen würde, die um die Einberufung
herumkommen wollten; es gab zwar keine konkreten Beweise dafür, daß diese
abendlichen Beratungen sie so erschöpften, daß sie ihrer Arbeit bei den
Gaswerken nicht mehr zufriedenstellend nachkommen konnte – dennoch wurde ihr
gekündigt. Mehrere Patrioten aus unserer Stadt wurden festgenommen, als sie ihr
Auto zerstören und die Garage verwüsten wollten; sie erstattete keine Anzeige,
doch den umlaufenden Gerüchten zufolge war sie eine Gefahr für die Moral der
Jugend. Und obwohl sie eine einfache, eher unattraktive Frau war, wurde sie
beschuldigt, mehrere der jungen Ratsuchenden in Sachen Einberufung verführt zu
haben, und schließlich zog sie aus Gravesend fort – ich glaube, sie ging nach
Portsmouth; das war weit genug weg. Ich erinnere mich, daß sie beim Begräbnis
meiner Mutter da war; sie saß nicht neben ihrem Sohn, den Mr.   Chickering zum
Team in eine Bankreihe gesetzt hatte. Sie hatte für Teams nichts übrig; wohl
aber ihr Sohn Harry.
    Mrs.   Hoyt war die erste Person, an die ich mich erinnern kann, die
sagte, einen bestimmten amerikanischen Präsidenten zu kritisieren bedeute nicht
automatisch, daß man antiamerikanisch war; und einen bestimmten Aspekt der
amerikanischen Politik zu kritisieren, hieße noch lange nicht, daß man kein Patriot
war, und [186]  gegen unsere Verwicklung in einen
bestimmten Krieg gegen die Kommunisten zu sein, bedeute nicht, daß man den Kommunisten die Stange hielt. Doch diese Unterschiede waren für die
meisten Bürger von Gravesend zu fein; sie sind auch heute noch für viele meiner
ehemaligen Landsleute zu fein.
    Ich kann mich nicht erinnern, Buzzy Thurston bei der Beerdigung
gesehen zu haben. Er hätte da sein sollen. Nachdem Harry Hoyt die erste Base
erreicht hatte, hätte er das Spiel beenden sollen. Er schlug den Ball so weich,
daß er ganz einfach aufzuhalten war – doch der Feldspieler warf ihn nicht
schnell genug zurück. Wer war dieser Feldspieler? Auch er hätte in Hurd’s
Church sein

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