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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sagte Owen.
    »Vielleicht sollten wir zuerst unsere Maria auswählen, und dann zum
Engel zurückkommen?« schlug Rev. Mr.   Wiggin vor.
    Barb Wiggin stand händeringend da.
    Doch wenn sie dachten, ich sei so dumm, mir meine Maria auszusuchen, dann konnten sie lange warten; das konnte ja nur schiefgehen – wenn ich die Maria aussuchte. Denn was würden sie über mich und das Mädchen
denken, das ich auswählte? Und was würden die Mädchen, die ich nicht auswählte, von mir denken?
    »MARY BETH BAIRD WAR NOCH NIE DIE MARIA«, meinte
Owen, »SO WÄRE MARY MARIA.«
    » Josef sucht Maria aus!« sagte Barb
Wiggin.
    »WAR JA NUR EIN VORSCHLAG«, meinte Owen.
    Doch wie konnte ich Mary Beth Baird die Rolle verwehren, nachdem sie
ihr schon angeboten war? Mary Beth Baird war ein kräftiges, gesundes Ding,
scheu, ungeschickt und nicht gerade eine Schönheit.
    »Ich war schon dreimal eine Taube«, nuschelte sie.
    »DAZU WOLLT ICH SOWIESO NOCH WAS SAGEN«, sagte
Owen. »KEIN MENSCH WEISS, DASS DAS TAUBEN SEIN SOLLEN!«
    »Immer langsam – eins nach dem anderen«, unterbrach ihn Dudley
Wiggin.
    »Erst soll Josef seine Maria aussuchen!«
sagte Barb Wiggin.
    »Mit Mary Beth wäre ich einverstanden«, sagte ich.
    »Also, Mary ist Maria!« Mr.   Wiggin war erleichtert. Mary Beth Baird
bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Barb Wiggin bedeckte ebenfalls ihr
Gesicht.
    »Und jetzt weiter, was ist mit den Tauben, Owen?« fragte der Rector.
    »Einen Moment noch!« keifte Barb Wiggin. »Zuerst will ich einen
Engel.«
    Ehemalige Könige und Hirten saßen schweigend da; ehemalige Esel
meldeten sich nicht – und die Esel bestanden aus zwei Teilen; [232]  der hintere Teil eines Esels bekam das
Krippenspiel niemals zu sehen. Selbst die ehemaligen Hinterteile der Esel
meldeten sich nicht für die Rolle des Engels. Selbst die ehemaligen Tauben
ließen sich nicht aufscheuchen, die Rolle zu ergattern.
    »Der Engel ist doch so wichtig«, sagte der
Rector. »Wir haben einen ganz besonderen Apparat, nur um ihn hochzuheben und
herunterzulassen, und – eine Zeitlang – hat der Engel die ›Lichtsäule‹ ganz für
sich alleine. Alle Augen sind auf ihn gerichtet!«
    Der Gedanke, daß alle Augen auf den Engel gerichtet waren, ließ den
Kindern in der Christ Church diese Rolle nicht eben verlockend erscheinen. Im
hinteren Teil des Kirchenschiffes saß der pummelige Harold Crosby, der durch
die Nähe zu dem riesigen Gemälde »Die Berufung der zwölf Apostel« noch
unbedeutender erschien als sonst, ja der völlig unscheinbar wirkte vor dieser
Darstellung, wie Jesus seine Jünger auswählt. Nur selten waren alle Augen auf
den dicken Harold Crosby gerichtet, der nicht so grotesk war, daß man ihn
verspottete – oder auch nur wahrnahm – immerhin jedoch so blöde, daß er stets
zurückgewiesen wurde, wenn er den kleinsten Versuch unternahm, die allgemeine
Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Also hielt sich Harold Crosby zurück. Er saß
immer ganz hinten, er stand immer am Ende der Reihe, er redete nur, wenn er
angesprochen wurde; er wollte in Ruhe gelassen werden, und meistens wurde er
das auch. Schon seit mehreren Jahren spielte er perfekt das Hinterteil eines
Esels; es war mit Sicherheit die einzige Rolle, die er haben wollte. Ich konnte
sehen, daß er nervös war, weil Mr.   Wiggins Forderung nach einem Engel mit
allgemeinem Schweigen beantwortet wurde; vielleicht kam sich Harold Crosby
angesichts des in seiner unmittelbaren Nähe hoch aufragenden Abbildes der
Jünger etwas unpassend vor, oder vielleicht fürchtete er, daß der Rector – da
sich keine Freiwilligen meldeten – bei seiner Suche nach dem Engel auf die
weniger mutigen Kinder zurückgreifen würde, und (Gott behüte) was war, wenn Mr.
Wiggin ihn auswählte?
    [233]  Harold Crosby lehnte sich mit
seinem Stuhl zurück und schloß die Augen; entweder hatte er diese Art, sich zu
verstecken, einem Strauß abgeschaut, oder er dachte, wenn es so aussah, als
schlafe er, dann würde niemand von ihm verlangen, mehr als das Hinterteil eines
Esels zu sein.
    »Irgend jemand muß den Engel spielen!«
sagte Barb Wiggin drohend. Da kippte Harold Crosby rücklings mit seinem Stuhl
um; er machte alles nur noch schlimmer, als er versuchte, sein Gleichgewicht zu
halten – indem er nach dem Rahmen des riesigen Bildes griff; dann ließ er von
dem Gedanken ab, sich unter den Jüngern Christi zu begraben, und ließ sich
einfach fallen. Wie die meisten Dinge, die Harold Crosby passierten, war auch
dieser

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