Owen Meany
übergab sich.
Er übergab sich so oft, daß kaum jemand darauf achtete, und [236] schon gar nicht jetzt, da Owen unsere ungeteilte
Aufmerksamkeit besaß.
»Und außerdem können wir ihn hochheben !«
Mary Beth Baird war ganz aufgeregt.
»Das Jesuskind wurde noch nie hochgehoben!« entgegnete Barb Wiggin.
»Na ja, ich meine, wenn wir müssen, wenn uns danach ist«, sagte Mary
Beth Baird.
»ALSO, WENN ALLE WOLLEN, DASS ICH ES MACHE, DANN
GUT«, sagte Owen.
»Ja!« riefen die Könige und die Hirten.
»Owen soll es machen!« sagten die Esel und die Kühe – die ehemaligen
Tauben.
Die Entscheidung wurde mit allgemeiner Begeisterung aufgenommen,
doch Barb Wiggin sah Owen an, als müsse sie ihre Meinung, wie »goldig« Owen
war, noch einmal überdenken, und der Rector beobachtete Owen mit einer
Ehrfurcht, die überhaupt nicht zu einem Expiloten paßte. Rev. Mr. Wiggin, ein
Veteran in Sachen Krippenspiel, sah Owen Meany mit tiefem Respekt an – als habe
er das Christuskind schon hundertmal kommen und gehen sehen, sei aber noch nie
einem Jesuskind begegnet, das sich so trefflich für die Rolle eignete.
Schon bei der zweiten Probe des Krippenspiels beschloß Owen, daß
die Krippe, in die er – nur knapp – paßte, unnötig war. Dudley Wiggin stützte
seine Ansicht über das Verhalten des Jesuskindes auf das Weihnachtslied »In
einem armen Stalle«, das nur zwei Strophen hat.
Dieses Lied war der Grund für die Ansicht von Rev. Mr. Wiggin, daß
der Kleine Herr Jesus keinen Laut von sich geben dürfe.
Die Kü-he, sie muh-en, das Kind-lein, es schaut
Doch vom Klei-nen Herrn Je-sus er-tö-net kein Laut.
[237] Wenn Mr. Wiggin solchen Wert
auf die zweite Strophe von »In einem armen Stalle« legte, argumentierte Owen,
sollten wir uns auch nach der ersten Strophe richten.
»DA STEHT DOCH GAR NICHTS VON EINER KRIPPE, WARUM
BRAUCHEN WIR DANN EINE ?« fragte Owen. Ganz offensichtlich fand er
die Krippe zu beengend. »› IN EINEM ARMEN STALLE, DA LIEGET
GAR FROH / DER KLEINE HERR JESUS, AUF HEU UND AUF STROH !‹ «
sang er.
So bekam Owen wieder einmal seinen Willen; »auf Heu und auf Stroh«
würde er liegen, und sogleich begann er, das Heu auf der Bühne so
zusammenzulegen, daß er es garantiert bequem hatte und genügend hoch und nach
vorn geneigt liegen würde – so daß ihn auch wirklich jeder im Publikum sehen
konnte.
»UND NOCH WAS «, gab Owen uns einen
weiteren Ratschlag. »IST EUCH AUFGEFALLEN, WIE DAS LIED GEHT: ›DIE KÜHE,
SIE MUHEN‹? IST DOCH GUT, DASS WIR KÜHE HABEN, DIE TAUBEN KÖNNTEN NICHT SO
SCHÖN ›MUHEN‹.«
Wenn das wirklich Kühe waren, die wir da hatten, dann brauchte man
genausoviel Vorstellungskraft wie vorher bei den Tauben, um sie als solche zu
erkennen. Mary Beth Baird mochte zwar durch die Beförderung zur Jungfrau Maria
inspiriert worden sein, die Kuhkostüme zu nähen, doch bei der konkreten Herstellung
dieser Kostüme hatte ihr die Heilige Mutter göttlichen Rat und göttliche Hilfe
versagt. Mary Beth Baird schien alle möglichen Vorstellungen von Weihnachten
durcheinandergebracht zu haben; ihre Kühe hatten keine Hörner, sondern Geweihe – richtiggehende Gestelle , die eher zu Rentieren
paßten, an die Mary Beth möglicherweise sogar gedacht hatte. Schlimmer noch,
die Geweihe waren weich, das heißt, sie bestanden aus schlaffem Material, und
deshalb fielen diese »Hörner« den Kühen ständig ins Gesicht – und versperrten
ihnen damit die ohnehin eingeschränkte Sicht, wodurch noch mehr Verwirrung als
sonst auf der Bühne entstand: Kühe [238] trampelten
aufeinander, Kühe stießen mit Eseln zusammen, Kühe rempelten Könige und Hirten
an.
»Diese Kühe, wenn das welche sein sollen«, bemerkte Barb Wiggin,
»sollten an ihrem Ort bleiben und nicht herumlaufen – keinen Schritt. Wir wollen ja nicht, daß sie auf das Jesuskind trampeln, oder?«
Ein irres Leuchten in ihren Augen schien darauf hinzudeuten, daß sie es als
eine Art göttliches Ereignis betrachten würde, wenn auf dem Jesuskind
herumgetrampelt würde, doch Owen, der sowieso ständig Angst hatte, daß man auf
ihn trat – besonders jetzt, da er ausgestreckt und hilflos im Heu lag – stimmte
ihren Bedenken wegen der Kühe zu.
»IHR KÜHE, MERKT EUCH EINS. IHR SOLLT ›MUHEN‹. UND
NICHT RUMTRAMPELN.«
»Ich will weder muhende noch trampelnde
Kühe haben«, sagte Barb Wiggin. »Ich will die Lieder hören können, und das
Evangelium. Ich will kein ›Muhen‹.«
»LETZTES JAHR HABEN SIE ABER
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