Owen Meany
DIE TAUBEN GURREN LASSEN «, erinnerte Owen sie.
»Dies ist aber nicht letztes Jahr«, gab Barb Wiggin zurück.
»Langsam, immer mit der Ruhe«, beschwichtigte sie der Rector.
»DAS LIED GEHT: ›DIE KÜHE, SIE MUHEN‹«, beharrte
Owen.
»Und wenn’s nach dir ginge, würden die Esel wohl i-ahen!« fauchte
Barb Wiggin.
»IN DEM LIED STEHT NICHTS VON ESELN«, gab
Owen ungerührt zurück.
»Vielleicht nehmen wir das Lied etwas zu wörtlich«, überlegte Mr.
Wiggin, doch ich wußte, es gab nichts, das »zu wörtlich« war für Owen Meany,
der sich, wo er konnte, auf orthodoxe Konventionen berief.
Dennoch zeigte sich Owen bei der Auseinandersetzung, ob die Kühe nun
muhen sollten oder nicht, nachgiebig; er erkannte, daß er mehr erreichen
konnte, wenn er die Liedfolge änderte, die ihm [239] ohnehin
nie gepaßt hatte. Es ergab doch keinen Sinn, behauptete er, mit »Wir sind die
Könige aus dem Morgenland« anzufangen, während der Engel des Herrn in der
»Lichtsäule« herabstieg; schließlich war der Engel den Hirten erschienen und
nicht den Königen. Es war besser, das Krippenspiel mit »O kleines Städtchen
Bethlehem« zu beginnen, während der Engel von oben herabstieg; die Verkündigung
des Engels paßte doch ausgezeichnet zwischen die zweite und die dritte Strophe.
Und dann, wenn die »Lichtsäule« den Engel verläßt – oder besser, wenn der Engel
schnell wieder aufsteigt und die »Lichtsäule« verläßt, dann erst sehen wir die
Könige. Ganz plötzlich haben sie sich zu den verblüfften Hirten gesellt. Und dann singen wir »Wir sind die Könige aus dem Morgenland«,
und zwar aus vollem Hals!
Ich – Josef – brauchte nichts zu tun und nichts zu sagen, brauchte
keinen Text zu lernen. Mary Beth Baird schlug vor, ich könne mich, als
hilfreicher Vater, abwechselnd mit ihr um Owen Meany kümmern – wenn wir ihn schon nicht aus dem Heu hochheben konnten, weil Barb Wiggin
strikt dagegen war, dann konnten wir ihn doch wenigstens streicheln oder
kitzeln oder seinen Kopf tätscheln, meinte Mary Beth.
»GEKITZELT WIRD NICHT«, sagte Owen.
»Es wird überhaupt nichts gemacht!« Barb Wiggin war unerbittlich.
»Das Jesuskind wird nicht angefaßt.«
»Aber wir sind doch seine Eltern !«
entrüstete sich Mary Beth und bezog den armen Josef großzügigerweise mit ein.
»Mary Beth«, sagte Barb Wiggin, »wenn du das Jesuskind anfaßt, dann
steck ich dich in ein Kuhkostüm.«
Und so geschah es, daß die Jungfrau Maria während dieser Probe
schmollte – eine Mutter, der die Freuden der körperlichen Beziehung zu ihrem
eigenen Kind verwehrt wurden! Und Owen, der sich ein riesiges Nest gebaut hatte – in einem Berg von Heu – strahlte gleichsam die Unberührbarkeit einer nicht zu
unterschätzenden Gottheit aus, eines Propheten bar jeglichen Zweifels.
[240] Technische Probleme mit der
Halterung ersparten Harold Crosby das erste Erlebnis engelsgleicher Erhebung;
wir merkten, daß er vor lauter Angst, ihm könne schwindlig werden, den Text
seiner überaus wichtigen Verkündigung vergessen hatte – oder Harold hatte seine
Rolle nicht richtig gelernt, denn er kam nicht über: »Fürchtet euch nicht,
siehe, ich verkündige euch große Freude…« hinaus, ohne zu stottern.
Die Könige und Hirten konnten sich gar nicht langsam genug bewegen,
als sie der »Lichtsäule« bis vor den Altar folgten, wo die Tiere, Maria und
Josef um die alles einnehmende Gestalt des Jesuskindes auf seinem Heuberg
versammelt waren; so langsam sie auch gingen, sie kamen bei der rührenden Szene
im Stall an, noch ehe die fünfte Strophe von »Wir sind die Könige aus dem
Morgenland« zu Ende war. So mußten sie das Ende des Liedes abwarten und so tun,
als seien sie keineswegs überrascht, als der Chor sofort danach »In einem armen
Stalle« anstimmte.
Das Problem könnte gelöst werden, schlug Rev. Dudley Wiggin vor,
indem man die fünfte Strophe von »Wir sind die Könige« wegließ, doch Owen
lehnte das als unorthodox ab. Wenn man mit der vierten Strophe aufhörte, dann
entgingen einem doch die Hallelujas der fünften; Owen bat uns, dem Text der
vierten Strophe besondere Aufmerksamkeit zu schenken – wir wollten doch
sicherlich nicht mit solchen Worten beim Jesuskind ankommen.
Er sang sie uns nachdrücklich vor: »› VOLL SORGE,
VOLL SCHMERZEN, VOLL BLUT, KURZ VORM TOD, IN EINEM KALTEN GRAB AUS STEIN‹.«
»Aber dann kommt doch der Refrain!« widersprach Barb Wiggin. »›Du
Wunderstern, du Licht der Nacht‹«, sang sie, doch
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