P S: Verzeih mir!: Roman (German Edition)
nur eine weit hergeholte Vermutung war, doch trotzdem war Leonie zuversichtlich gewesen, dass sie schließlich etwas finden würden.
Sobald sich die erste Aufregung über die Entdeckung, dass er vielleicht im Gefängnis sitzen könnte, gelegt hatte, begann Leonie ernsthaft darüber nachzudenken, was für ein Verbrechen er wohl verübt haben mochte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es etwas furchtbar Schweres wie Mord war, wahrscheinlich zählte sein Vergehen eher zur Wirtschaftskriminalität. Vielleicht Versicherungsbetrug?
Wie auch immer, es war eigentlich ziemlich gleich, wofür Nathan einsaß, wirklich wichtig war jetzt, die Einrichtung ausfindig zu machen, in der er gefangen gehalten wurde.
Sie war alte Nachrichten im Internet durchgegangen und hatte nach seinem Namen in Verbindung mit irgendeinem Verbrechen gesucht, und sie hatte Dutzende Male die Briefe wieder durchgelesen, in der Hoffnung, etwas zu finden, irgendetwas, das ihnen einen Anhaltspunkt über seinen Aufenthaltsort geben konnte.
Es war seltsam, aber sie spürte immer noch, dass ihnen etwas anderes über diese ganze Situation entging, etwas Wichtiges, das vielleicht den Schlüssel zu dem ganzen Rätsel enthalten mochte.
»Hast du bemerkt, dass er in seinem letzten Brief etwas von wegen ›gekniffen‹ erwähnt hat?«, fragte Alex und hielt ihn hoch. »Ich glaube, das ist das erste Mal, dass er einen direkten Bezug auf das, was er vielleicht getan hat, herstellt.«
»Ich frage mich, was er getan hat«, meinte Leonie und schwang die Beine vom Ende des Fensterplatzes hinunter. Es war Donnerstagabend, und auch wenn sie und Alex beschlossen hatten, sich einen ruhigen Abend mit einem Film und einem Imbiss zum Bestellen bei Leonie zu machen, konnten beide nicht widerstehen, noch einmal die Briefe durchzugehen. »Es ist komisch, nach dem, was wir jetzt wissen, nehmen die Briefe eine völlig neue Bedeutung an, wenn man sie noch mal liest. Als ich diesen hier das erste Mal las, dachte ich, dass ›kneifen‹ sich auf etwas mit Helena bezieht. Dass sie sich vielleicht entschieden hat, den Ehemann zu verlassen, um mit Nathan zu leben, er jedoch kalte Füße bekam und abgehauen ist? Doch irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass er kalte Füße bekam, weil er die ganze Zeit mit ihr zusammen sein wollte.«
»Wovor hat er denn dann gekniffen?«, überlegte Alex laut. »Ich nehme an, etwas, was mit dem Verbrechen zu tun hat. Vielleicht hat er sich gestellt?«
»Ich habe keine Ahnung, und es macht mich wahnsinnig, dass wir es nicht herausfinden«, antwortete Leonie frustriert. »Wir wissen nur, dass, was auch immer er getan haben mag, um dort zu landen, der arme Kerl nach wie vor glaubt, Helena habe sich geweigert, ihm zu verzeihen, ohne dass ihm klar ist, dass sie wahrscheinlich niemals die Chance bekam, sich zu entscheiden.« Sie sah zu Alex. »Apropos verzeihen, Alex, ich glaube nicht, dass ich es mir selbst verzeihen könnte, wenn wir ihn jetzt nicht finden.«
»Ach, ich glaube, ich brauche eine Pause«, gab ihre Freundin zurück, schob den Stapel Blätter beiseite und streckte sich gemächlich auf dem Sofa aus. Dabei warf sie die Holzschachtel mit den leeren Umschlägen um, die zu Boden fielen.
»Ich hebe sie auf«, sagte Leonie, als Alex nach unten griff. »Es ist Cola im Kühlschrank, falls du willst.«
»Ehrlich gesagt bin ich eher in der Stimmung für was Stärkeres. Ich habe unten noch Bier im Kühlschrank. Magst du eins?«
»Gute Idee«, stimmte Leonie zu, und während Alex schnell in ihre Wohnung lief, nahm sie die Umschläge und begann sie wieder in die Schachtel zu stecken.
Und dabei bemerkte sie etwas. Etwas Seltsames.
Ihr Herz schlug schneller, als ihr die Bedeutung ihrer Entdeckung klarwurde, und sie starrte fast unbeweglich die paar Minuten vor sich hin, bevor Alex zurückkehrte.
»Hier bin ich wieder … Was ist denn los?«, fragte Alex, als sie Leonies erstarrten Gesichtsausdruck erblickte.
»Der erste Umschlag«, sagte Leonie und reichte ihn Alex. »Er ist anders.«
Ihre Freundin runzelte die Stirn und stellte die Flaschen Corona auf den Couchtisch ab. »Inwiefern anders?«
»Schau dir mal die Vorderseite an.«
Es war der Brief, den sie aus Versehen um den Valentinstag herum aufgemacht hatte, Nathans ersten (oder in Wahrheit sein letzter) Brief. Sie wusste nicht, warum sie es nicht vorher bemerkt hatte – wohl weil sie damals so grob mit dem Umschlag umgegangen war, dass es schwer zu erkennen war. Doch nun, da sie
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